Die Hundertjährige, die sich aus dem Fenster warf

Sollten Sie Mitglied einer hedonistischen Partei sein, pfeifen Sie besser auf Ihr metabolisches Alter.

Ich bin eingetragenes Mitglied der hedonistischen Partei Österreichs. Frondienste als Aupair-Mädchen in Frankreich und Italien haben  zu meiner Genuss-Sozialisation beigetragen. Das einzige Kalorienlaster, das mich langweilt, ist Schokolade. Generell knabbern all diese Tofu-Tussen, Vegan-Paranoiker und Gluten-Gläubiger in ihrem militanten Ernährungsbewusstsein an meinen Nervenenden. Sollen sie nur ihre Sellerie-Sticks 74 Mal im Rachenraum drehen – geschenkt!  Leider müssen sie  auch ständig drüber reden, wie viel  klarer ihr „Mindset“ (ein Wort, das in mir eine Will-Smithsche Aggressionsbereitschaft triggert) durch diese Hungerstillungs-Rituale ist, denn Essen kann man das ja nicht nennen.  Und jetzt der Keulenschlag. Ich habe unvorsichtigerweise in meiner Ertüchtigungsanstalt einen totalen Wie-sieht’s-in-meinem-Körper-aus-Check machen lassen. Sollten Sie auch gerne mit dem Leben schmusen, fragen Sie nie so ein  Gerät nach Ihrem metabolischen Alter.

Ich kann jetzt gleich an einem Roman mit dem Titel „Die Hundertjährige, die sich aus dem Fenster warf“ brainen. Ein Verb, das neuerdings auch inflationär zum Einsatz kommt, sollte man ab und an mit Menschen um die 30 arbeiten. Die Brainer ernähren sich natürlich auch alle „total bewusst“. Bewusstlos isst es sich außerdem eher schlecht. Solche laden einen dann schon einmal zu einem „Pre-Meeting-Zoom“ ein und sagen dann so Sachen wie: „Hey, Boomer! Danke für deinen Support, es war richtig awesome.“ In Kombination mit Zwinker-Smileys, bis der Arzt kommt. In solchen Momenten denke ich mir, dass zuviel  Carpaccio von der roten Rübe (die rote Rübe ist ja sowas wie der Hipster-Erdapfel) und diese generelle „Millennial Alertness“ zumindest für die sprachliche Ausgeschlafenheit auch nicht optimal sind. Hochachtungsvoll, habe die Ehre – Ihre metabolische Greisin! 

„Nymphen in Not“ am 10. April um 11 Uhr im Wiener Rabenhof.
www.pollyadler.at
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Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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