Der Antrags-Profi

Mama“, sagte das Kind streng am Telefon, „es wird endlich einmal was Hochromantisches in unseren Gemäuern stattfinden. Die schlechte Nachricht: Du musst dafür das Haus verlassen.“ Wie sich herausstellte, will einer ihrer besten Freunde, der Dame seines Herzens, in unserer Casa Kunterbunt einen Hochzeitsantrag an genau jenem Winkel stellen, wo vor einigen Jährchen der erste Kuss der beiden stattgefunden hatte. Was für eine Ehre für unsere Wohnung, die sicher im Zuge der Party-Reifung des Fortpflanzes Austragungsort für weit derbere Interaktionen gewesen ist. Ich erinnere mich noch mit Grauen, als vor unserem Haus ein Polizeiauto mit flimmerndem Blaulicht gestanden ist, weil ein prä-pubertärer Gast den Festakt mit dem Runterwurf einer leeren Wodkaflasche krönen wollte. Er war der Ansicht, dass die Vernichtung des Inhalts so weniger auffällig sei. Wenn man schon selbst nie einen Heiratsantrag (außer von einem schwer Betrunkenem, dem der Schlips dabei ins Cocktailglas hing) bekommen hat, dann ist man besonders gerührt, dass die jungen Menschen noch auf solche romantischen Rituale Wert legen.

Nach dem Konsum der HBO-Serie „Euphoria“, wo nur völlig pornoverseuchte, promiske Teenies Beziehungsunfähigkeit zelebrieren, erleichterte mich diese Aussicht regelrecht. Allerdings machte uns Omikron einen Strich durch die Inszenierung. Ich wäre zwar schon Freigänger gewesen, aber zu schlapp für Ausgänge. Also kühlte ich den Sprudel ein, versteckte mich am entferntesten Punkt der historischen Stelle und hörte nur die Konfetti-Kanonen ballern und ein inbrünstiges „Jaaaa“.  Tipp für Antrags-Amateuere: Im Online-Versand kann man sich ein Anlass-Set mit Luftballons, Polyester-Rosenblättern und aufblasbarem Ring mit Mega-Stein ordern. Unser Kavalier hatte natürlich ein wunderschönes Echt-Exemplar dabei. Viel Glück euch beiden!