Seit Anfang des Jahres gibt es auf Netflix die Doku "Minimalismus – weniger ist jetzt" zu sehen.

Reduziert: Wenn Übermaß unglücklich macht

Unzählige Dokus und Bücher beschäftigen sich gerade mit einem minimalistischeren Alltag. Warum sich auch Bestsellerautor Johannes Huber für Sex-Abstinenz und karge Mittagessen ausspricht.

Von einer Sex-Eskapade schlitterte Sänger und Teenie-Idol Justin Bieber in zerstörerische Partynächte und wieder zurück. Jahrelang. Bis er zu Gott fand, sich Kindheitsfreundin Hailey Bieber zur Freundin nahm, vor der Ehe keinen Sex mit ihr hatte und nun monogam im Sinne der Freikirche Hillsong-Church lebt. Mental geht es ihm so gut wie nie, predigt der 27-Jährige heute.

Der Trend zum sexuellen Verzicht in Zeiten von schnellen Tinder-Sexdates ist derzeit ebenso präsent wie die Mäßigung im Konsumverhalten. Dokumentationen wie "Minimalismus – Weniger ist jetzt" finden sich zigfach im Netz und Ausmist-Meisterin Marie Kondo wurde zur bekannten Lebensratgeberin hochstilisiert.

Balance finden

Hat der Überfluss an Kleidern, Essen, Sex und Unterhaltung in der westlichen Welt nun die selbstauferlegte Mäßigung als Antwort oder sogar Lösung? "Ja", sagt Johannes Huber. Der Gynäkologe und Theologe beschäftigt sich in seinem neuen Buch "Die Kunst des richtigen Maßes" genau damit.

Jahrtausendelang war das Leben von Mangel geprägt. Mit der Überflussgesellschaft hat sich das grundlegend geändert – nicht aber unsere evolutionäre Programmierung. Heute müsse daher auf das Meiste verzichtet werden, um Balance zu finden, erklärt Huber, der im KURIER-Gespräch drei Lebensbereiche beleuchtet.

Sex: Pause für Rezeptoren

Der Theologe hat sich wiederholt für einen besonnenen Umgang mit Geschlechtsverkehr ausgesprochen. Im Buch erklärt er erneut, dass zeitweiliger sexueller Verzicht dem Lustempfinden zuträglich ist – und Rezeptoren  immer wieder eine Pause von Geschlechtshormonen brauchen, um damit nicht überschwemmt zu werden und abzustumpfen. "Wer permanent isst, dem schmeckt das Essen weniger gut", vergleicht der Gynäkologe, dem bewusst ist, dass seine Aussagen für einige nach Spießermoral klingen.

Doch auch eine Studie der Carnegie Mellon University zeigt, dass mehr Sex unglücklicher machen kann: Dabei wurden 64 Paare zu doppelt so viel Sex aufgefordert  wie für sie üblich  und 64 zu weniger als üblich. Paare, die öfter miteinander schliefen, waren  danach unglücklicher als die enthaltsameren.

Kommunikation: Egophanie

Im KURIER-Interview erzählt Johannes Huber über die für ihn überraschendste Untersuchung: "Dass schon im Teenageralter die Sicht der Welt auf eine Ich-Bezogenheit geprägt wird und sich dadurch oft eine Egophanie entwickelt, ist hoch interessant und problematisch."

Die Spätfolgen dieser neuen Selbstbezogenheit würden wir noch gar nicht kennen, warnt er. Social Media sei für  Marktschreier und Wichtigtuer ein  Paradies, dabei sei jedoch viel mehr Mäßigung in dieser selbstzentrierten Kommunikation angebracht. "Erst, wenn wir unser Ego beherrschen und den inneren Götzendienst aufgeben, sind wir in der Lage, andere zu verstehen. Nur so können wir Mitgefühl entwickeln." Seine Ausführungen speisen sich meist aus zutiefst christlichen Tugenden.

Zu wenig Fleiß  bringe die Jugend heute zudem auf, so Huber. Dabei muss er sich jedoch  die Kritik gefallen lassen, dass sich wirtschaftliche Gegebenheiten ändern und viele durch harte Arbeit   – anders als früher – dennoch  keinen (finanziellen) Erfolg sehen.

Ernährung: Zu Mittag fasten

Dass Fasten ein heilsamer Selbstreinigungsprozess ist, schilderte der Mediziner schon in seinem letzten Buch, in dem er klar sagt, dass Nahrungskarenz nur am Abend, nicht aber am Vormittag positive Auswirkungen auf den Körper hat. Von 16 Uhr bis 8 Uhr Früh auf Essen zu verzichten, lasse kaputte Körperzellen beseitigen.

Nun gibt es aber ein neues Fastenmodell als Tipp. Die "Every-Other-Day-Diet" ist nicht so streng wie die interimistische Methode, in der ab dem  Nachmittag  nichts mehr gegessen werden soll. Die von Krista Varadys entwickelte Kur ist einfach und soll laut einer Studie sehr effektiv sein, was Cholesterinsenkung und überschüssige Kilos angeht. Die einfache Formel: An einem Tag zu Mittag nicht mehr als 500 Kalorien zu sich nehmen, am nächsten Tag wieder normal essen.

Im Buch wird auch auf neue Untersuchungen hingewiesen, wonach eine Nahrungskarenz das Krebsrisiko und Allergien reduziert und sogar Chemotherapien erfolgreicher sind, wenn zuvor Zucker und Kalorien gemieden werden. Denn die Krebszelle kann durch Essen Proteine entstehen lassen, wo sie keine bilden soll.

"Sogar nach Operationen zeigen sich Erfolge. Je weniger der Mensch dann zu sich nimmt, desto schneller heilen seine Wunden", so Huber, der jedoch zu bedenken gibt, dass die generelle Verfassung wichtig im Hinblick auf das Fasten ist.

Und wie hält er es selbst mit der kulinarischen Mäßigung? Isst er tatsächlich ab 16 Uhr nichts mehr? "Nein, da bin ich oft zu schwach, weil ich den ganzen Tag arbeite und ich mit meinen Minuten geize. Ein Kamillentee kann oft über Verlockungen hinweghelfen und einen Schweinsbraten oder Ähnliches esse ich tatsächlich an keinem Abend. Meine persönliche Sucht ist wohl der Spaziergang. Jeden Tag eine Stunde im Lainzer Tiergarten. Wie die Peripatetiker von Aristoteles denke ich am liebsten beim Gehen nach."

Johannes Huber: "Die Kunst des richtigen Maßes. Wie wir werden, was wir sein können", Edition a, 352 Seiten, 24 Euro.

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