Guido Tartarotti

"ÜberLeben": Schwitzen mit Ernst Grissemann

"Fenster auf!": Erinnerungen an einen Großen.

Ich bin dem großartigen Ernst Grissemann nur einmal begegnet, aber diese Begegnung werde ich nie vergessen.

Mein damaliger Bühnenpartner, der Kabarettist Gerald Fleischhacker und ich waren damals, vor acht Jahren, eingeladen worden, bei einer Galavorstellung im Theater Akzent einen satirischen Beitrag zu leisten. Wir saßen in unserer Garderobe und warteten auf den Soundcheck. Viele Künstler traten an diesem Tag auf, die Technik bat händeringend darum, sich beim Soundcheck auf fünf Minuten zu beschränken. Draußen auf der Bühne stand ein Komödiant und quälte die Techniker bereits seit einer halben Stunde mit Sonderwünschen und brachte damit den Zeitplan durcheinander. Wir fanden das eitel und unkollegial und bemühten uns, nicht allzu verärgert zu sein.

In diesem Moment stürmte Ernst Grissemann in die Garderobe und rief „Fenster auf, ich schwitze wie eine Sau!“ Und weil es eben Ernst Grissemann war, der das sagte, klang es nicht ordinär, sondern wie ein Satz von Shakespeare oder Schiller. Und während draußen der eitle Kollege weiter sein Mikrofon und seine Scherzlein testete, erzählte Grissemann einfach großartige Geschichten. Gerald Fleischhacker und ich spitzten die Ohren, unterbrachen Grissemann so wenig wie möglich, tranken mit ihm Bier und fühlten uns beschenkt.

Dann musste Grissemann auf die Bühne und machte einfach weiter: Er erzählte Geschichten, das Publikum hing an seinen Lippen. Dass Grissemann müde und ein wenig genervt war, ließ er sich keine Sekunde anmerken.

Nach ihm auf die Bühne zu gehen, war wunderbar und gleichzeitig furchtbar, weil man genau genommen keine Chance hatte.
Jetzt ist Ernst Grissemann, der große Moderator, Journalist und Komödiant, im Alter von 88 Jahren gestorben, und ich werde nie vergessen, dass er mir einmal gestattete, die Garderobe und die Bühne mit ihm zu teilen.

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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