Spaziergang durch die Innenstadt: Lust! Luster! Weihnachtlich Lüstern!

Einmal im Jahr kann man mal so richtig auf den Putz hauen!

Die Schönheit von Wien ist ein Geschenk. Man muss nur wissen, wie man das Geschenk geschickt auspackt. Ich gehe zum Beispiel durch die Innenstadt, wenn die meisten Flaneure und Stadtdandys schon zu Hause sind oder an den besten geheimen Tränken Unterschlupf gefunden haben. Die Stadt gehört dann mehr oder weniger mir, samt ihren Schatten und Lichtern, ihren merkwürdigen Gerüchen und übertriebenen Farben. Gerade zu Weihnachten hat Wien seine Schminke dick aufgetragen, festlich und stolz, mancherorts ein bisschen schäbig, mancherorts echt glamourös. Ich gehe über den Kohlmarkt, wo die Lichter tanzen wie in der Alten Donau die Algen, biege in den Graben ein, der von überdimensionalen Lustern in eine Art Wohnzimmer verwandelt wird, ein zugegeben ziemlich großes Wohnzimmer, es kommen mir Menschen mit roten Wangen entgegen, die von innen genauso leuchten wie die Luster von oben.

Die Weihnachtsbeleuchtung vom Wiener Graben

©Klobouk Alexandra

Über den Stephansplatz hinüber zur Rotenturmstraße, die ihrerseits rotbackig ist, so prachtvoll wie die aufgepumpten Chinatown-Kugeln, die über der Begegnungszone hängen. Ich betrachte sie mit Wohlgefallen, kann aber auch eine ironische Botschaft in ihnen entdecken: Das ist nicht unser Ernst, nein. Aber wir machen es trotzdem.

Weihnachten ist eine Bescherung. Weihnachten ist eine Herausforderung. Irgendwo dazwischen sind die besonderen Momente verborgen, nach denen man schürfen muss. Ich grabe mich daher durch die Stadt in dieser Nacht, die uns alle, die wir einander begegnen, zu Verbündeten macht, zu Teilnehmern einer geheimen Aufführung, die nur uns vorbehalten ist – und allen anderen, die noch nicht schlafen wollen oder können.

Dann stehe ich auf der Schwedenbrücke, bewundere das warme Licht unter den Nachbarbrücken, wo es, wie ich weiß, trotzdem kalt ist. Verlasse das Zentrum, nicht ohne mich umzudrehen und über die Himmelsleiter auf dem Südturm des Stephansdoms zu schmunzeln, die mich mit ihrer goldgelben Metaphorik immer wieder erheitert. Gehe die Praterstraße entlang, kaum ein Auto, erleuchtete Fassaden, spektakulär wie immer der Dogenhof mit seinen venezianischen Fenstern. Ein paar Jungs, die einen süßen Tschik rauchen, kommen mir entgegen und folgen meinem Blick auf die kunstvolle Fassade, entdecken dort nichts, was sie interessieren werde, müssen ein bisschen über mich lachen und gehen weiter. Der Praterstern, Baustelle. Hier bekommen wir im nächsten Jahr ein paar Blumen und Bäume geschenkt, herzlichen Dank.

Dann bin ich endlich angekommen bei dem Geschenk, das mir die Stadt macht in diesem schon wieder so merkwürdigen Jahr, und das ich gesucht und gefunden habe an diesem Abend. Ich stehe am Rand der Kaiserwiese, vor mir das Riesenrad. Sein Sockel ist scharlachrot erleuchtet. Die Gondeln wie Christbaumkugeln, unbeweglich, weil sich gerade nichts dreht, Glanz und Licht, auch wenn nichts weitergeht, weil nämlich die Zeit stillsteht in diesem besonderen Moment, in dem ich die surreale Konstruktion betrachte und mich an ihr freue. Ich pfeife leise „White Christmas“. Dann gehe ich langsam nach Hause.

Die Route

Michaelerplatz – Kohlmarkt – Graben – Stephansplatz – Rotenturmstraße – Schwedenbrücke – Praterstraße – Praterstern: 3.600 Schritte

Christian Seiler

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