Praterstern: Wenn aus der Schutzzone eine Schuttzone wird
Vom Praterstern bis in die Radetzkystraße: Christian Seiler erkundet Wien zu Fuß.
Ich komme vom Praterstern und gehe die Franzensbrückenstraße Richtung Donaukanal. Normalerweise wähle ich nicht diesen Weg, vor allem, weil der Schlupfweg durch die parallele Helenengasse so unterhaltsam ist. Im Viadukt, über den die Schnellbahnen fahren, haben sich Autowerkstätten eingerichtet, die halbe VW-Käfer an die Wand schrauben, nur aus Spaß an der Freude. Auf dem Parkplatz hinter dem früheren Hotel Cristal sitzen gern ein paar Menschen auf Rückbänken aus ausgebandelten Autos, haben etwas zum Trinken, Feuer für die Tschik, und geht schon. Wäre der Filmregisseur Martin Scorsese ein Wiener, er hätte hier einen Stammplatz.
Diesmal aber Franzensbrückenstraße. Ich möchte mir anschauen, wie sich die Wiedereröffnung der Brücke auf den Verkehr auswirkt, und ich kann nur sagen: Besonders schnell fließt er noch nicht. Von der Seite schaue ich mir die Brückenbaustelle an. Die Sanierungsarbeiten haben es nötig gemacht, der Brücke eine weiße Jacke anzumessen, wie es Christo und Jeanne-Claude nicht viel besser gekonnt hätten. Außerdem mag ich es, wie sich die Arbeiter auf einem ihrer Baucontainer eine Ecke zum Jausnen eingerichtet haben, das den meisten Gastronomieeinrichtungen am Donaukanal um nichts nachsteht.
Ich überquere den Donaukanal auf der flussabwärts an die Franzensbrücke angebauten Fußgängerbrücke. Wo ich meinen Fuß wieder auf festen Grund setze, gibt es genau nichts mehr zu sehen: Der Abriss der Häuser an der Radetzkystraße 24–26 hat nicht mehr als eine staubige Gstettn hinterlassen. Zur Erinnerung: Hier befand sich ein durchaus ansehnliches Gründerzeithaus, in dessen Erdgeschoß das „Café Urania“ ordiniert hatte. Das Café sperrte wegen Ablebens des Besitzers zu, aber auch das Haus wurde, obwohl Teil einer Schutzzone, von seinen Besitzern der Verwahrlosung preisgegeben. Das Ziel bestand darin, das Eckhaus mit seinem charakteristischen Turm abzureißen und, wie es im Jargon heißt, neu zu entwickeln. Das heißt: einen Neubau herzustellen, dessen Verkauf eine schöne Rendite verspricht – ungeachtet der Tatsache, dass es gar keine Rechtsgrundlage für den Abriss gab.
Zuerst wurden Dach und oberster Stock abgetragen, bis die Arbeiten durch juristischen Einspruch der Hausbewohner gestoppt werden mussten. Seltsam geköpft stand das Haus dann jahrelang da, eingerüstet, abgefuckt und störrisch, noch immer bewohnt von letzten Parteien, die sich nicht vertreiben lassen wollten. Schließlich kamen die Bagger. Ich sah ihnen zu, wie sie in einer monumentalen Staubwolke Wände und Zwischendecken demolierten. Später beobachtete ich Schatzsucher, die nach Verwertbarem suchten, aber nur Zeitungen aus den Dreißigerjahren fanden, die zur Isolation unter die Bodenbeläge gesteckt worden waren.
Ein schüchterner Baum, der vor einer Mauer im Lichthof stand, ist übrig geblieben. Ihm wird das viele Licht, das ihn plötzlich wärmt, unwahrscheinlich vorkommen, er streckt seine Äste ungelenk in alle Richtungen. Ich kann ihm nur raten: Genieß es, grüner Freund, denn bald kehrt der Schatten zurück.
Die Route
Praterstern - Franzensbrückenstraße - Franzensbrücke - Radetzkystraße: 1.200 Schritte
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