Vom Hans-Guck-in-die-Luft, der nichts wichtiges versäumt

Seiler geht vom Schwedenplatz über die Fischerstiege zum Tiefen Graben.

Ich gehe ziellos durch die Innere Stadt, steige über die Fischerstiege hinauf zur Salvatorgasse und folge dieser bis zum Stoß im Himmel – was für ein Name. 

Ich gehe durch die zum Schlupf werdende Salvatorgasse hinüber zur schönen Kirche „Maria am Gestade“, deren kleiner, aber schöner Vorplatz „Passauer Platz“ heißt. Dieser Platz ist besonders, weil er gleich durch zwei Stiegen mit der tiefer liegenden Nachbarschaft verbunden ist. Richtung Salzgries führt die eher unscheinbare Marienstiege ein Stockwerk tiefer, zum Tiefen Graben gehe ich hingegen die prunkvollen Stufen von „Am Gestade“ – hier verlief einmal der südlichste Arm der Donau – hinunter, wobei sich die Anlage nach unten ständig verbreitert, was ihr eine imperiale Stimmung verleiht. 

Ich erinnere mich, dass in einem der Häuser am Rand vor vielen Jahren die Redaktion des „Standard“ untergebracht war und bleibe schließlich ganz unten vor dem Hannakenbrunnen stehen, der vom Bildhauer Rudolf Schmidt im Rahmen der Umgestaltung des Stiegenaufgangs modelliert worden war. Er zeigt zwei Menschen, die einen dritten tragen. Damit spielt der Künstler auf die Sage des sogenannten Hannakenkönigs an, eines mährischen Badeanstaltbetreibers, der in der Nacht absichtlich Menschen das Haxel stellte, um sie dann versorgen und an der Behandlung verdienen zu können.

Ich bin also durchaus auf der Hut, als ich in den Tiefen Graben einbiege und, vorbei am sagenhaften „Hotel Orient“, der Hohen Brücke entgegenspaziere, über die, hoch über uns, die Wipplingerstraße führt, kaum abgelenkt von der Doppelbödigkeit der Stadt, die sie durchschneidet.

Welch Glück ist so ein Tiefer Graben, auf dass man Hohe Brücken wie diese darüber spannt!

©Klobouk Alexandra

Diese Brücke ist ein prachtvolles Schauspiel an unverhofftem Ort. Sie repräsentiert einerseits besten Jugendstil, auch wenn die Geschäftslokale, die einmal an den Gehsteigen links und rechts des Tiefen Grabens untergebracht waren, längst geschlossen und mit Rollläden verbarrikadiert sind. Andererseits ist die lange Geschichte dieser Brücke auf der Brückenanlage selbst verewigt, nämlich auf mit Blattgold ausstaffierten Reliefen, die zeigen, wie die Hohe Brücke zwischen 1782 und 1857 ausgesehen hat. In der Mitte der Brücke befand sich damals eine dem Heiligen Nepomuk, dem Schutzheiligen der Brücken, geweihte Kapelle, die 1857 demoliert wurde, als die Hohe Brücke im neugotischen Stil neu gebaut wurde. Kaum 50 Jahre später wurde sie – die Fahrbahnen waren zu eng geworden – ein weiteres Mal neu gebaut, diesmal im Jugendstil, so wie ich sie heute bewundere, als stets gegenwärtiges Schmuckstück abseits der vielbegangenen Wege in Wiens Zentrum. 

Wie immer, wenn ich länger vor einer Sehenswürdigkeit stehe, die nicht die Anker-Uhr ist oder das Schloss Belvedere, und sie mit Muße, Neugier und einer gewissen Gründlichkeit betrachte, irritiere ich damit den einen oder anderen vorbeistürmenden Passanten, der nicht genau weiß, ob ich nur ein Hans-Guck-in-die-Luft bin oder ob er gerade etwas Wichtiges versäumt. Beide Antworten sind übrigens richtig.

Die Route

Schwedenplatz – Salzgries – Fischerstiege – Salvatorgasse – Passauer Platz – Am Gestade – Tiefer Graben: 1.800 Schritte

Christian Seiler

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