Von Schatten zu Schatten: Ein Spaziergang durch Sievering

Spaziergang von der Sieveringerstraße über die Obkirchergasse in die Krottenbachstraße.

Ich gehe auf der Sieveringer Straße stadteinwärts, nachdem ich beim „Eckel“ ein schönes Mittagessen eingenommen habe. Das ist auch im Hochsommer empfehlenswert, weil der Eckel einen wunderbaren Gastgarten besitzt, wo man im Schatten erwachsener Bäume sein Kalbskotelett natur mit Reis verzehren kann, was ein Prototyp für die sog. „bürgerliche Küche“ ist, die es in Wien nicht mehr an allzu vielen Orten gibt.

Satt spaziere ich stadteinwärts. Natürlich besteht die Herausforderung darin, den Weg so anzulegen, dass möglichst wenige Streckenabschnitte in der prallen Sonne liegen, weil sich das Wohlbefinden sonst allzu schnell in Transpiration auflösen würde, aber dafür bin ich zu clever. Wechsle, wo nötig, die Straßenseite, bleibe im Schatten stehen, um mir das eine oder andere Haus ein bisschen genauer anzuschauen, zum Beispiel den Daringerhof. Dieses späthistoristische Miethaus aus den Jahren 1907/08 befindet sich dort, wo die Daringergasse von der Sieveringerstraße in relativ flachem Winkel abbiegt. Es besetzt den daraus entstehenden Grundstückszwickel mit großer Grandezza und zeigt so eindrucksvoll mit einem Eckturm auf, der noch dazu von einer spektakulären Kuppel gekrönt wird, dass ich mich fast an ikonische Häuser wie das Flat Iron Building in New York erinnert fühlte, minus ein paar Stockwerke natürlich. Das Gärtchen vor dem Haus dient als Showroom für gemütliche Gartenmöbel und Hängematten, die im Erdgeschoß verkauft werden, und ich müsste lügen, wenn ich sage, ich hätte sie nicht sehnsuchtsvoll betrachtet. Aber warum Daringerhof? Weil gegenüber dem Haus das Daringerkreuz steht, ein 1606 gestifteter Bildstock, den der Untersieveringer Bürger Hans Georg Daringer gestiftet hatte „Gott zu Ehren und den Seinen zu ewigem Gedächtnis“, ein Text, der in schönen, eckigen Blockbuchstaben in den Vierkantsockel getrieben wurde. 

©Klobouk Alexandra

Von Schatten zu Schatten gehe ich weiter. Auf der einen Straßenseite noch vereinzelte ebenerdige Winzerhäuser aus der agrarischen Vergangenheit des Stadtteils, auf der anderen dreistöckige Mietshäuser, an deren Dachausbauten gerade fleißig gearbeitet wird. Einstöckige Biedermeierhäuser wechseln sich mit weniger charmanten Bauten aus den Sechziger- und Siebzigerjahren ab, schmale Grünstreifen und zahlreiche Bäume verleihen der Straße etwas Ansprechendes, Heimeliges. Bevor die Sieveringer Straße in die Billrothstraße mündet, biege ich nach rechts in die Obkirchergasse ab, bleibe vor dem Sonnbergmarkt stehen, um den Karl-Mark-Hof zu betrachten, richtig gehört, der Gemeindebau aus den Jahren 1924/25 erinnert an den Kommunalpolitiker Karl Mark, den Gründer des Wiener Volksbildungswerkes. Dann gehe ich weiter geradeaus, bis ich zur Krottenbachstraße komme und kurz entschlossen die Stiegen zur Station der Vorortelinie hinaufsteige. Weil der Zug nach Heiligenstadt gerade abgefahren ist, setze ich mich ins Gärtchen der Bahnhofsrestauration, es gibt nämlich eine. Im Radio spielen sie laut „We are the world“, und ich denke mir: Ja, das wäre schön. 
 

Die Route

Sieveringer Straße – Obkirchergasse – Krottenbachstraße: 1.700 Schritte

Christian Seiler

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