Seilers Gehen

Auf zum Kahlenberg: Als mich die Wanderlust in Heiligenstadt packte

Der Weg in die Ebene war nicht verlockend. Es ging stetig bergauf - die Stadt Wien im Nacken.

Zuerst dachte ich mir, ich schaue mir Grinzing einmal bei Tageslicht an, aber dann überkam mich die Wanderlust. Das passiert manchmal, wenn der Himmel besonders hoch ist. Also beließ ich es nicht bei dem Spaziergang durch Heiligenstadt, am Karl-Marx-Hof vorbei hinauf zum Pfarrplatz, sondern ging zwischen schönen, einstöckigen Winzerhäusern bis hinauf zum Kreisky-Forum und dann hinter dessen schönem Garten hinauf nach Grinzing.

Dort sah ich mich um, bemerkte einerseits gesteigerte Bautätigkeit, andererseits aber auch detailverliebte Pflege von Traditionen, eine Tafel für den Wienerlieddichter Edmund Eysler, dem wir „die unsterbliche Weise ,Küssen ist keine Sünd’“ verdanken, eine andere für Sepp Fellner, den „Schubert von Grinzing“ – „Was kann den i dafür, dass i a Weana bin“ –, aber dann zog es mich die Cobenzlgasse bergauf, bis ich in den Oberen Reisenbergweg einbog und plötzlich zwischen den Weinbergen war, auf einer schmalen, steilen Straße hinauf zum Cobenzl. Interessant, dass sich Menschen sofort zu grüßen beginnen, wenn sie die Schluchten der Stadt verlassen haben.

Es kamen mir freundliche Herrschaften entgegen, die mir zunickten, auch wenn ich für ihre Begriffe natürlich viel zu spät unterwegs war, andere hatten ein lautes „Grüß Gott“ für mich übrig, „angenehm“ sagte ich und erwiderte jeden Gruß höflich. Am meisten aber freute ich mich über den Blick, mit dem ich belohnt wurde, als ich nach kurzem, steilem Anstieg am Cobenzl angekommen war.

Leopoldsberg

Auf den letzten hundert Metern spürte ich die Sicht über Wien bereits im Nacken, drehte mich aber nicht um, weil ich mich erst dort belohnen wollte, wo diese Sicht unbehindert und frei ist. So stand ich schließlich an der Höhenstraße, sah die Donau durch Wien fließen, die Stadt teilen, deren Häuser dicht und weiß wirkten, von Floridsdorf bis tief in den Süden, ein weites, ein friedliches Wien, hinter dem Stadtrand drehten sich Windräder, und Kahlenberg und Leopoldsberg sehen verlockend nah aus.

Erst dann nahm ich die Baustelle wahr, die dem Cobenzl neue Cafés und Säle bescheren wird, ich vertraue auf gutes Gelingen, der Ort hat es verdient. Weil ich aber nicht zurück in die Ebene wollte, ging ich weiter, durch den lichten Wienerwald Richtung Kahlenberg, immer wieder grüßend, immer wieder gegrüßt. Auf einer Lichtung, wo sich die Wege auf die verschiedenen Hausberge Wiens verteilen, stand ein Kreuz, und an dem Kreuz hing eine in Zellophan eingeschlagene Erinnerung an die lächelnde Frau Kaiper (1931 – 2019). Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie mir auf einem dieser Wege entgegenkommt, ein gewinnendes Lächeln für alle, die diesen Luxus mit ihr teilen.

Ich stieg schließlich durch die Wildgrube und die Wildgrubgasse ab, vorbei am Friedhof Heiligenstadt, wo ich Ödön von Horvath respektvoll grüßte, durch den Beethovenpark, wo ich vor der Büste des Meisters den Kopf neigte, nach Nussdorf hinunter, wo mir der D-Wagen gerade recht kam. Der Fahrer war erstaunt, dass ich ihm einen „Guten Tag“ wünschte, aber er nickte, und ich verstand das schon richtig.

Die Route

U-Bahn-Heiligenstadt – Heiligenstädter Straße – Grinzinger Straße – Pfarrplatz – Probusgasse – Rudolf-Kassner-Gasse – Langackergasse – Cobenzlgasse – Oberer Reisenbergweg – Am Cobenzl – Stadtwanderweg 1 – Wildgrubgasse – Beethovengang – Nussdorf: 15.000 Schritte

Christian Seiler

Über Christian Seiler

Kommentare