Seilers Gehen: Ans andere Ufer zu kommen kann inspirierend sein!

Über wie viele Brücken sollte man nochmal gehen? Wien hat in dieser Hinsicht jedenfalls einiges zu bieten.

Ich komme vom Schottenring und gehe auf der Innenstadtseite am Donaukanal entlang, Richtung Osten. Heute betrachte ich Brücken, diese Monumente des Verbindenden, die aus Stadtteilen Nachbarschaften machen. Wir überqueren sie mit größter Selbstverständlichkeit und denken gar nicht daran, dass jede von ihnen Zeugnis von Ingenieurskunst und ästhetischem Verstand ablegt.

Die Augartenbrücke in meinem Rücken ist schmucklos und gerade. Die Salztorbrücke besitzt einen eleganten Schwung (und ihre breiten Pfeiler sind von befugten Sprayern in Graffitigalerien verwandelt worden). Die Marienbrücke und die Schwedenbrücke wirken neben dem leichtfüßigen Gebäude der Schiffsstation, an der das Schnellboot nach Bratislava liegt, simpel, etwas plump und aus der Zeit gefallen. Die Aspernbrücke bei der Urania versprüht mit ihrem grünmetallenen Unterbau einen Rest von Retrocharme.

©Klobouk Alexandra

Hinter der Urania folge ich dem Schwung des Wegs hinauf zur Radetzkybrücke, überquere den Wienfluß und verlasse den Stadtverkehr auf der Dampfschiffstraße sofort wieder Richtung Treppelweg, der mich aus dem Zentrum hinausführt, zur Franzensbrücke, deren Sperrung wegen Renovierung gezeigt hat, dass jeder einzelne dieser Übergänge über den Donaukanal schmerzlich vermisst wird, wenn er einmal nicht passierbar ist. Noch trägt die Brücke ihre weiße Verkleidung, sozusagen das Operationsgewand, einige Retuschen müssen noch erledigt werden.

Vor der Verbindungsbahnbrücke, die nur hundert Meter hinter der Franzensbrücke über den Kanal führt, bleibe ich stehen. Diese Brücke markiert nicht nur das Ende der harten Verbauung des Donaukanals – ab hier dürfen an den Ufern wieder Gras, Büsche und Bäume wachsen –, sie ist auch Zeugin für die schmerzliche Geschichte Wiens.

Wie einige andere Brücken wurde sie im Zweiten Weltkrieg zerstört und musste danach neu, tonnenschwer und sachlich wiederaufgebaut werden. Die Verbindungsbahnbrücke ist aber auch ein Gradmesser für die Frequenz des öffentlichen Verkehrs auf Wiens am stärksten befahrender Schnellbahnroute. Es vergeht kaum eine Minute, bis der nächste Zug, egal ob moderner City Liner oder antiquierte, blauweiße Schnellbahngarnitur, über die Stabbogenfachwerkträgerbrücke aus den Fünfzigerjahren rumpeln. Aufmerksam sehe ich zu, ein Zug, zwei Züge, fünf Züge, dann gehe ich weiter.

Je weiter vom Zentrum, desto weniger Brücken. Nachdem ich unter der pfeilgeraden Rotundenbrücke durchgeschlüpft bin, komme ich endlich zum neu eröffneten Erdberger Steg. Die Holzbrücke aus dem Jahr 2003 hatte sich für die Fußgänger und Radfahrer, für die sie gedacht ist, als zu fragil erwiesen. Sie wurde durch eine Stahlkonstruktion ersetzt, die ich vom Erdberger Ufer aus prüfend betrachte: Weiß, luftig und ein bisschen beliebig führt sie über das Wasser, ein bisschen mehr architektonische Behauptung hätte es schon sein dürfen.

Sei’s drum: Ich folge dem Angebot, das mir der Steg unterbreitet, überquere das Wasser und folge dem Weg in den Prater durch die Friedensgasse: Wenn das kein gutes Omen ist …

Die Route

Schottenring – Freda-Meissner-Blau-Promenade – Wolfgang-Schmitz-Promenade – Radetzkybrücke – Treppelweg – Erdberger Steg – Friedensgasse: 5.500 Schritte

Christian Seiler

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