Interview

Ausgepowert: Wie es Menschen schaffen, wieder Kraft zu tanken

Psychotherapeut Jörg Berger hat eine Anti-Erschöpfungsstrategie entwickelt. Wovor er besonders warnt.

Genug schlafen, Sport machen und sich gesund ernähren – so lautet häufig der Rat an erschöpfte Menschen. Der Psychotherapeut Jörg Berger hält von solchen Tipps nicht viel: "Selbst Menschen, die nicht erschöpft sind, sind mit dieser To-do-Liste überfordert." Deshalb hat er eine Anti-Erschöpfungsstrategie entwickelt, die er in seinem aktuellen Buch darlegt. Er nennt sieben Wege, die zur inneren Kraft führen. Und er weiß, welches der größte Krafträuber im Leben ist.

Rund jeder Zweite ist erschöpft. An wem liegt das? An den Betroffenen selbst? Oder an den Umständen?

Jörg Berger: Für viele wird das Leben anstrengender. Erschöpfende Faktoren nehmen zu, wenn zum Beispiel am Arbeitsplatz mehr verlangt wird oder es schwieriger wird, das Geld für den Lebensunterhalt aufzubringen. Gleichzeitig nehmen schützende Faktoren wie Pausen oder entspannte Zeit mit Freunden und Familie ab. Außerdem haben Menschen heute ein zweites, digitales Leben. Das bereichert, kostet aber auch Kraft. Wie wir mit diesen Faktoren umgehen, liegt auch an uns selbst. Darin liegt eine Chance, die jeder nutzen kann.

Sind es Erfahrungen aus der Psychotherapie, die Sie zur Anti-Erschöpfungsstrategie geführt haben?

In einer Hinsicht ähnelt sich das Happy End bei der Psychotherapie: Menschen leben am Ende mehr in Einklang mit sich selbst und ihrem Umfeld, manche zum ersten Mal in ihrem Leben. Auf welchen Wegen meine Patienten da ankommen, das habe ich nachgezeichnet.

Jörg Berger: Jeder kann eine Antwort auf seine Belastung finden.

©JOERG RODRIAN / Verlag Herder

Was ist der erste Rat, den Sie jemandem geben, der völlig ausgebrannt ist?

Fragen Sie sich in Ihren Beziehungen, in Ihren Aufgaben und bei der Freizeitgestaltung: „Tut mir das wirklich gut?“ Falls nicht: „Wo gibt es Spielräume, es etwas passender für Sie zu machen?“ Denn oft passiert gar nicht viel, wenn wir etwas nicht schaffen, wenn wir zu einem anstrengenden Menschen Abstand halten oder etwas auf unsere eigene Weise angehen.

Was raubt die meiste Kraft? Die Vielzahl an Aufgaben, die gleichzeitig zu erledigen sind?

Wir Menschen sind biologisch auf Beziehung programmiert, denn wir können in den ersten Lebensjahren nicht überleben, wenn sich keiner um uns kümmert. Deshalb greift nichts tiefer in unser Nervensystem als das, was sich in unseren Beziehungen abspielt. Unsere Aufgaben tun uns nichts, auch wenn wir sie liegen lassen. Kraft kostet viel mehr, wenn Menschen uns enttäuschen oder Druck machen. Deshalb liegt im Umgang mit anderen  das größte Anti-Erschöpfungspotenzial.

Sie raten Menschen, auf ihren Körper zu hören. Verlernen das viele, weil sie immer funktionieren müssen?

Erschöpfte Menschen haben die leise Stimme ihres Körpers überhört. Irgendwann spricht er Klartext: „So nicht mehr.“ Unser Körper reagiert auf alles, was sich in unseren Beziehungen und Aufgaben abspielt. Das kann man wahrnehmen lernen. Weil alle Lebenserfahrungen in unserem Körper gespeichert sind, ist er auch der Ort unserer ganz persönlichen Weisheit. Wir haben ein inneres Wissen, was wir brauchen, was wir auf uns nehmen können und was lieber nicht.

Sieben Wege zur inneren Kraft

Erschöpfung feiern: Das kann aus einem Leben herausführen, das nicht gut tut. 

Den eigenen Selbstwert befreien: Sich wertschätzen setzt Energie frei.

Frage der Macht: Geben Sie den richtigen Menschen Macht über sich – denen, die  gut tun.

Aufmerksam sein: Konzentrieren Sie sich auf Dinge, die glücklich machen.

Autor Ihres Lebens: Sie müssen keine Rollen spielen, die andere für Sie vorgesehen haben

Schattenseiten:  Akzeptieren Sie Ihre Schwächen.

Spiritualität: Sie kann ein neues Verhältnis zur Umwelt bringen. 

Zu den „sieben Wegen zur Kraft“ gehört, den Selbstwert zu stärken oder eigene Fehler zu akzeptieren. Muss jeder an anderen Themen arbeiten oder fließt alles ineinander?

Ein Buch über Erschöpfung darf nicht anstrengen. Die Kapitel knüpfen an eine natürliche Motivation an, etwa an die, sich wertvoll zu fühlen. Diese Motivation kann erschöpfen, wenn wir sie in die falschen Bahnen lenken und uns zum Beispiel ständig selbst optimieren. Aber es gibt auch einen entspannten Weg zu einem guten Selbstwertgefühl. Alle sieben Wege sind spannend – aber je nach Lebenssituation sind ein paar besonders befreiend.

Welche wichtige Botschaft wollen Sie mitgeben?

Heißen Sie die Erschöpfung als eine Botin willkommen, die etwas Wichtiges zu sagen hat: "Sie haben nicht so gelebt, wie es Ihnen entspricht. Sie haben sich von dem abschneiden lassen, was Sie lebendig und glücklich macht." Wenn Sie darauf hören, sind Sie auf dem Weg in ein leichteres Leben.

Buchtipp: Jörg Berger : „Die Anti-Erschöpfungsstrategie. 7 Wege zur inneren Kraft“, Verlag Herder. 20,60 Euro

Ute Brühl

Über Ute Brühl

Meist schreibe ich über so ernste Dinge wie Schule und Wissenschaft. Daneben widme ich mich immer wieder den schönen und heiteren Dinge des Lebens - dem guten Essen oder dem Gärtnern zum Beispiel.

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