Zu Besuch im weihnachtlichen Wunderland: In der Backstube bei Demel

Vom Christstollen bis zu den Vanillekipferln: Wir blickten den Konditoren der K. u. K. Hofzuckerbäckerei Demel über die Schultern.

In der Küche ist es manchmal wie im Kino. Bei einem Duell, im Western. „Du brauchst Nerven und du brauchst eine ruhige Hand“, sagt Robert Kalkbrenner (siehe Artikelbild). Vor ihm liegt ein riesiges Backblech, voll besetzt mit Mailänder Keksen. Haube auf, Ärmel hochgekrempelt, los geht’s. Seine Linke umschließt mit fester Hand den Sack mit der Lochtülle am Spitz, wo die Pastamasse zur Verzierung der Kekse rauskommt. Kalkbrenner ist schnell, ungerührt schwebt er von einem Mailänder zum nächsten, überzieht jeden mit einer picksüßen, weißen Spirale. Wenn es ums Dressieren geht, ist er sozusagen der Clint Eastwood der Backstube. Für ein Blech benötigt er zehn Minuten. „Fünf Minuten, wenn ich in Schwung bin“, sagt er. Und sein Chef, Rudolf Swonar, ergänzt: „Wenn es ums Teegebäck geht, ist er Weltklasse.“

Und ums Teegebäck geht es sehr oft vor Weihnachten beim Demel. Die knusprigen Kostbarkeiten zählen zu den gefragtesten Produkten des einstigen Hoflieferanten. Die Traditionskonditorei, die seit 1786 besteht, trägt diesen Titel immer noch mit Stolz, obwohl die Kaiserzeit längst vorbei ist, und am liebsten in schwarz ausgelegter Schrift auf goldenem Grund, wie auf der Tafel, die hoch über den Köpfen der Kunden an der Wand der Schaubackstube beim Demel prangt. Es ist ein unaufwiegbares Gütesiegel. Und die Adresse, am Kohlmarkt, der teuersten Meile Wiens, auf der auch Fendi, Gucci, Cartier beheimatet sind, ist natürlich auch ein Ausrufezeichen. Für exklusiven Gaumenkitzel für Naschkatzen – damals wie heute.

Handarbeit: der Kringel auf dem Keks 

©Kurier/Gilbert Novy

Beim Demel steht die Zeit still, sagen sie beim Demel. Ein Graf blieb ein Graf, selbst wenn die österreichisch-ungarische Monarchie unter- und in die Geschichte einging. Kein Wunder, dass man auf die Lorbeeren der alten Zeit bestand: Kaiser Franz Joseph I. soll für die Zuckerbäckereien schon als Kind geschwärmt haben, Sissi verrückt nach dem Veilchen-Sorbet gewesen sein. Gegründet von Ludwig Dehne richtete sich der Betrieb erst am Michaelerplatz ein, bevor er 1857 von Christoph Demel übernommen wurde, einst Lehrling im legendären Mehlspeisen-Paradies. Übersiedelt ins Palais am Kohlmarkt, einem edlen Rokoko-Juwel, gestaltet von den Architekten Portois & Fix, ging hier die noble Gesellschaft ein und aus, die Aristokraten und das reiche Bürgertum.

Anna Demel führte jahrelang das Unternehmen und drückte ihm ihren Stempel auf; sie ist übrigens die erste Frau, der 1952 jemals der Titel Kommerzialrat verliehen wurde – im Demel wird ihr die „Annatorte“ gewidmet. Baron Federico von Berzeviczy-Pallavicini, der Mann ihrer Adoptivtochter Klara, führte die Geschicke des Unternehmens nach ihrem Tod weiter. Vor allem beeindruckten seine märchenhaft gestalteten Schaufenster-Inszenierungen, für die man heute noch bekannt ist. Und danach? In aller Kürze: In den Siebzigerjahren übernahm der spätere Lucona-Versenker Udo Proksch das Demel, im „Club 45“ im zweiten Stock mauschelten die Granden aus Politik und Kunst. In den Neunzigern war die Raiffeisenbank Eigentümer. Seit 2002 wird das Demel von Attila Doğudans Do & Co betrieben.

Aufwendiges Dekorieren

Doch genug der Geschichte! Zurück dorthin, wo Geschichte gemacht und der Gaumen zum Klingen gebracht wird: mittenrein in die Backstube. Husarenkrapferln! Himbeerschüsserln! Nougatschifferln! Und natürlich zu jener Tätigkeit, die vielleicht die Königsdisziplin darstellt: das Dekor.

Stolz: Dekormeister Lukas Stiegler ist "totaler Weihnachtsfan" 

©Kurier/Gilbert Novy

Lukas Stiegler ist der Dekormeister im Demel. Auch für ihn ist der Advent angesichts all der Nikoläuse, Krampusse oder Rentiere eine Herkulesaufgabe. Pro Tag werden etwa 40 Stück der beliebten Christbäume aus Lebkuchenteig ausgestochen, gebacken und anschließend mit Gummi arabicum abgepinselt (damit sie an der Oberfläche schön glänzen). Danach werden sie von Stiegler liebevoll verziert. Erst wird grünes Marzipan aufgetragen, anschließend wird das Bäumchen mit Eiweiß-Spritzglasur aus selbstgedrehten Backpapier-Dressierspritzen in allerlei Farben ausdekoriert. Für ein Stück benötigt Stiegler eine halbe Stunde. Ob er nach diesem Aufwand im Advent überhaupt noch Tannenbäume sehen kann, nicht von Weihnachten generell genug hat?

Kein Problem sei das, so Stiegler. Im Gegenteil. „Ich liebe es“, bekennt er. Er lächelt, die Augen funkeln wie Lametta. „Wenn es nach mir ginge, könnte ich das Christbaumdekorieren das ganze Jahr machen. Für mich ist das die schönste Arbeit im ganzen Jahr, ich bin ein totaler Weihnachtsfan!“ Das Kreative, wenn er mit Engelsgeduld all die Sternderln und Kerzerln aufdressiert, liegt ihm im Blut. „Das war schon in der Lehrzeit so. Nicht alle reißen sich ums Dekorieren, das kann nicht jeder. Ich hatte aber immer Lust darauf.“

Gaumenfreude: Marzipanapferl, Mailänder, Husarenkrapferl, Himbeerschüsserl. Ein Stock tiefer: Ischler Törtchen, Butterbrot, Mürbe mit Marmelade

©Kurier/Gilbert Novy

Wie wird man da nicht dick?

Nicht nur beruflich. Privat nimmt er an Wettbewerben für Tortendekoration teil. Beim größten, bei der Cake & Bake-Messe in Deutschland, fertigte er eine dreidimensionale Motivtorte, errang bei 500 Teilnehmern Silber. Stolz zeigt er uns ein Foto am Handy. Poseidon, der Gott des Meeres, wie er aus den Wogen steigt, kühn und kräftig. Sogar die Bizepssehnen sind detailliert geformt. „Mega cool“, sagt Stiegler. „Habe ich in 80 Stunden modelliert.“

Der Chef ist sowieso mit ganzem Herzen dabei. „Die Weihnachtszeit ist die schönste Zeit“, sagt Rudolf Swonar. Auch wenn man natürlich ein Äutzerl an Arbeit zulegen müsse. Der groß gewachsene Steirer mit den silbergrauen Haaren ist Chef Patissier bei Demel, seit 30 Jahren mit Leidenschaft bei Do & Co, Sohn einer Bäckerfamilie, Herz und Hirn hier vor Ort sowieso. Großer Renner im Advent seien auch Christstollen und Weihnachtsbonbons, verrät er.

Backfertig: Patisserie-Chef Rudolf Swonar mit einem Blech Himbeerschüsserln

©Kurier/Gilbert Novy

Jetzt wacht Swonar mit aufmerksamem Adlerblick darüber, wie Robert die Nougatschifferln anfertigt: Auf die aus Kakaomürbteig ausgedrückten Schifferln trägt er mit dem Messer auf jedes Einzelne das Nougat auf. Danach mengt er geriebene Waffeln bei, die sorgen beim Beißen dann für den Knuspereffekt. Die Handarbeit ist – neben den besten Rohstoffen – ein Spezifikum beim Demel. Auch jedes Vanillekipferl wird von Hand gewuzelt. Wie man es als Bäcker schafft, angesichts der Fülle an Versuchungen nicht dick zu werden, wollen wir wissen. „Diszipliniert naschen ist erlaubt“, sorgt Robert Kalkbrenner fürs Schlusswort. „Übertreiben darf man’s halt nicht. Aber fad wird es jedenfalls nie, das Kosten.“

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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