Kantine im Burgtheater: Die kleine Bühne hinter der großen
Die Burg und ihr "Wohnzimmer": Früher gab's nach der Premiere Eierspeis für alle und feuchtfröhliche Nächte. Heute geht es gesitteter zu.
Einer besteht auf Budweiser Bier. Der andere mag nur Käsetoast. Wer genau, von den Stars am Burgtheater? Darüber breitet Andrew Abed Elnour, Kantinenleiter von Österreichs (und vielleicht der Welt) bedeutendster Bühne, und ein Mann im Dreiteiler und mit gepflegtem Vollbart, milde lächelnd den Mantel des Schweigens. Klar: Wirt sein, das bedeutet immer auch Verschwiegenheitspflicht, die Nähe zu Berufen wie Beichtvater oder Seelenklempner ist eine eher fließende.
Immerhin, aus alten Sagen weiß man: Klaus Maria Brandauer mag seine Frankfurter Würsteln am liebsten kalt. Und: Es kommt schon mal vor, dass um 10 Uhr morgens zehn Jägermeister auf Tisch 1 geordert werden. Das aber, fürs Protokoll, von den Technikern des Hauses. Sonst gilt vor allem eines: „Kaffee ist Lebenselixier“, so Elnour. Zum Wachbleiben, Durchhalten, Aufputschen. Und, natürlich, diverse Spirituosen. „Zum Nerven beruhigen.“
Ein Geheimtipp ist die Kantine im Burgtheater immer noch. Nicht einmal die meisten Wiener wissen, dass hier - frei zugänglich - jeder, der mag, von 11:30 bis 14 Uhr Mittagessen kommen kann. Über eine große braune Flügeltür, einem Seiteneingang bei der Löwelstraße beim Volksgarten, betritt der Besucher den Essraum. Hier sitzen alle zusammen, Kostümbildner, Tontechniker, Ensemble. Die kleine Bühne hinter der großen, sozusagen. Wer Glück hat, verspeist seine Käsekrainer neben Nicholas Ofczarek, süffelt sein kleines Bier in Hörweite zu Maria Happel. Oder erlebt, wie jemand – so kürzlich passiert – bloß in Unterhosen mitten im Speisesaal an der Schank mit den Wurstsemmeln steht. Auch lustig.
Auf der täglich wechselnden Karte stehen Gerichte wie Faschierte Laberln mit Pommes oder kleinem Salat, vegetarisches Bohnengulasch mit Serviettenknödel, Szegediner Krautfleisch mit Salzerdäpfeln oder Hühner-Curry mit Basmati-Reis. Die Preise liegen zwischen 6,90 und 8,50 Euro. Wer nicht dem Haus zugehörig ist, also als extern gilt, zahlt rund einen Euro mehr.
Seit September 2020 bewirtschaftet magdas Essen die Kantine. Österreichs erstes Social Business, wie es heißt. Bedeutet: Soziales Handeln und wirtschaftlicher Erfolg müssen sich nicht ausschließen. Das Unternehmen wurde von der Caritas der Erzdiözese Wien gegründet, magdas Hotel oder magdas Reinigung gehören dazu. Der Betrieb ist bekannt dafür, Menschen anzustellen, die sonst wenig Chancen am Arbeitsmarkt hätten, etwa Flüchtlinge.
Davor hatte eine Institution gewordene Frau die Kantine fest im Griff: Beinahe 30 Jahre lang war Martina Hochstöger für das leibliche Wohl der Burgtheater-Leute verantwortlich.
„Die Kantine war das Wohnzimmer des Theaters“, erzählt Hochstöger, eine herzhafte und bodenständige Frau, fröhlich über vergangene Zeiten. „Alles, was Rang und Namen hatte, hat sich bei uns versammelt. Es ging sehr familiär zu.“
Mit 15 fing sie an der Wiener Staatsoper an der Schank an, mit 21 ging sie an die Burg. Am Anfang musste man sich aneinander gewöhnen. Manche Künstler verlangten erkannt zu werden, andere hatten nach der Vorstellung kein Geld einstecken und ließen anschreiben. „Dann gab es Diskussionen und man musste seinem Geld hinterherrennen“, lacht Hochstöger.
Doch schnell wurde sie von allen geliebt. „Sobald sie einen erst einmal akzeptiert haben, war es einfach mit ihnen“, erzählt sie. „Ich bin mit allen immer gut gewesen.“ Wenn Hochstöger, eine Jägerin, im Burgenland oder im Waldviertel gut getroffen hatte, stand bald darauf Wild am Kantinen-Speiseplan.
Eierspeis für alle
Von manch feuchtfröhlichen Nächten weiß sie zu berichten. „Die Premierenfeiern waren legendär.“ Öfter ging es direkt nach der Premierenvorstellung und dem anschließenden Buffet am 1. Rang nochmal runter und die Kantine wurde kurzerhand wieder aufgesperrt.
„Dann haben wir 40 Eier in die Pfanne gehaut und Eierspeis‘ gekocht – und alle, Schauspieler wie Techniker, haben sich darüber gezankt, wer sie zubereiten darf.“ Zum Grande Finale wurde eine große Pfanne auf den Tisch gestellt, und jeder, der einen Löffel hatte, griff zu.“
Kein Vergleich zur jetzigen Zeit: Die jungen Schauspieler von heute würden sich so etwas nicht mehr trauen. Und in puncto Genuss eher dazu neigen, Tee zu bestellen. Oder, besser gesagt: Teewasser. Den Teebeutel würden sie nämlich selber mitbringen.
Mit Regisseuren diskutierte Hochstöger nächtelang und kämpfte darum, dass diese bei den Stücken eine Pause einplanten, um für das leibliche Wohl der Zuschauer zu sorgen; andere fragten sie manchmal nach Rat. Der Abschied – sie betreibt heute den Imbiss Zur Ostbahnfini in Simmering, eine weitere legendäre Lokalität – fiel ihr schwer, doch heute sei sie froh darüber: „Ich habe die schönen Zeiten noch erlebt.“
Kommentare