Slam-Poetin Yasmo: „Misserfolge sind lehrreich“

Die Poetry Slam-Expertin über den idealen Gewinnertext, den Literaturbetrieb und die Karriere von Marc-Uwe Kling.

Die 32-jährige steht auf der Bühne, seit sie 15 Jahre alt ist. Seitdem ist es nicht leiser um Yasmo geworden: Als Rapperin hat sie mit ihrer Band Klangkantine gerade ein neues Album am Start („Laut und Lost“) und arbeitet sich damit am Erwachsenwerden, dem Patriarchat und an Ich-AGs ab. Auch in der Poetry-Slam-Szene ist Yasmo wohlbekannt: 2009 kürte sie sich zur ersten österreichischen Slam-Meisterin im deutschsprachigen Raum (Kategorie U20) sowie 2013 zur ersten Österreich-Slam-Siegerin. Die 26. deutschsprachigen Poetry Slam-Meisterschaften heuer in Wien hat sie mitorganisiert und das Finale im Burgtheater mitmoderiert.

Liebe Yasmo, was macht die Faszination Poetry Slam aus?

Poetry Slam ist barrierefrei: Jeder Mensch, der etwas geschrieben hat und sagt, er möchte mitmachen, kommt auch auf die Bühne. Das bedingt vielfältige Vorträge: ob Rap, Spoken Word, lustige und traurige Geschichten oder ganz Persönliches. Das ist toll. Und all das passiert live und direkt.

Poetry Slam ist vom subkulturellen Ereignis zum Massenevent geworden. Eine gute Entwicklung?

Keine Entwicklung, die ich feststellen kann. Wir wollten uns nie von unten in den Mainstream hocharbeiten, bei uns bleibt die Subkultur bestehen. Nur holen wir uns die Masse jetzt auch noch dazu. Beides kann parallel bestehen. Das hat eine Qualität, die nicht jede Kunstrichtung von sich behaupten kann.

Früher machte man sich mit den Bewertungen der Beiträge über den Literaturbetrieb lustig. Heute ist man selbst institutionalisiert.

Man muss da unterscheiden zwischen Deutschland, der Schweiz und Österreich. Die Entwicklungen der Poetry-Slam-Szenen verlief da unterschiedlich. Die deutsche Szene hat sich früh professionalisiert und den Wettbewerbsgedanken in den Vordergrund gestellt. In Österreich haben Markus Köhle und Mieze Medusa die Szene aufgebaut und sind auf so etwas nicht reingefallen.

Wie steht die Poetry Slam-Szene heute zum Literaturbetrieb?

Wir werden vom Literaturbetrieb belächelt: Was wir machen würden, wäre nur Unterhaltung, aber keine Poesie. Was wir dazu sagen können ist: Unsere Häuser sind ausverkauft. Die Leute interessieren sich plötzlich wieder für Literatur. Unsere Bücher werden gekauft. Das geht alles so in Ordnung für uns. (lacht)

Wodurch unterscheidet ihr euch vom Literaturbetrieb?

Ein Unterschied ist diese institutionalisierte Hierarchie im Literaturbetrieb, die im Poetry Slam von vorneherein verunmöglicht ist. Bei uns kann jeder mitmachen, und alle reden miteinander. Niemand muss jemanden kennen, um etwas zu erreichen.

Was unterscheidet einen Slam von einer Castingshow, in der es ebenfalls um Bewertungen und Unterhaltung geht?

Auch wir wollen unterhalten. Aber bei uns nimmt, außer es handelt sich um eine Meisterschaft, niemand den Wettbewerb ernst. Kein Slam-Poet und keine Poetin ist grantig, wenn sie nur mit einer 2,5 benotet wird. Wir machen’s nicht für die Punkte. Wie heißt es so schön: The points are not the point, the point is poetry. Und das ist sehr wahr.

Marc-Uwe Kling gewann zwei Mal die Poetry-Slam-Meisterschaft und hatte danach großen Erfolg mit seinen „Känguru-Chroniken“. Träumt jeder Slammer insgeheim von so einer Karriere?

Ich denke schon, dass so eine Karriere für viele erstrebenswert ist. Was man beim Slam aber vor allem lernt, ist, flexibel zu sein. Wenn sich dein Buch nicht verkauft, machst du halt irgendwie anders weiter. Denn es gibt Abende, da rockst du die Bühne, denkst, wow, geilster Auftritt ever, ich bin der König – und am nächsten Tag schon fliegst du auf die Schnauze. Dieses direkte, gnadenlose Feedback vom Publikum bekommt man, glaube ich, bei keiner anderen Kunstform. Dadurch beginnt man zu erkennen, dass Misserfolge eigentlich immer lehrreich sind.

Ist Poetry Slam der Beweis, dass die GenZ nicht nur TikTok-Videos machen, sondern auch mit Sprache umgehen kann?

Ich glaube schon. Wir haben viele junge Teilnehmer, bei denen wir alten Hasen uns freuen, dass die auch was mit Sprache machen. (lacht) Ich kann die Erfahrung, live etwas vorzutragen, jedem nur empfehlen: Wir sind unter Menschen, kein Bildschirm, kein Filter, keine Effekte – nur Bühne, Mikro, Text, und los geht’s.

Was braucht ein Gewinnertext?

Mit Ehrlichkeit fährt man tatsächlich am besten. Außer man entscheidet sich für das Stilmittel der absoluten Übertreibung oder Entfremdung. Aber es gibt kein Geheimrezept, um den Sieg zu erringen.

Was ist mit Humor?

Kann helfen, muss aber nicht. Vor zehn Jahren hieß es, es gewinnen immer nur die lustigen Texte. Diese Meinung hat sich wieder verflüchtigt, weil sie ein Blödsinn ist. Ein extrem ernster Text, den man hart spürt, kann genauso gewinnen wie ein Kassenschlager-hahaha-Text, und alles dazwischen auch. Alles ist möglich.

Sie leiten auch Poetry-Slam-Workshops in Schulen, wie läuft das?

Ich gehe in Oberstufen, das macht extrem Spaß. Ich bin überzeugt, jeder Mensch kann schreiben. Die ersten, die sagen, sie können das nicht, sind stets die ersten, die ihren Text dann vortragen möchten. Ein Schalter legt sich um und sie merken, sie sind doch dazu imstande. Das ist das Allerbeste.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

Kommentare