Auktion bei Christie’s: Von Kunstsammlern und Raubsauriern

Marilyn Monroe und ein Dino sind die Stars der Auktionswoche in New York. Das sagt einiges über Kunst, Popkultur und Kapitalismus

"Kommt ein Dinosaurier auf eine Kunstauktion...“

Das ist nicht der Beginn eines Witzes und auch keine Variante des sprichwörtlichen Elefanten, der im Porzellanladen für Unruhe sorgt. Porzellan, einst als „weißes Gold“ hoch begehrt, wird am internationalen High-End-Kunstmarkt nämlich kaum noch gehandelt. Dinosaurier bzw. deren Skelette aber sehr wohl.

Das Auktionshaus Christie’s will am 12. Mai mit einem solchen Fossil seine Auktionswoche in New York beschließen, die traditionell als Gradmesser für die Kauflust der Superreichen gilt. Bereits am Montag (9. 5.) kommt mit einem Marilyn-Monroe-Porträt von Andy Warhol (1964) ein Superstar-Los zum Aufruf: Mit einem Schätzwert um die 200 Millionen US-$ soll es einen neuen Rekord für ein „Werk des 20. Jahrhunderts“ aufstellen. An die 450 Millionen, die der um 1500 entstandene „Salvator Mundi“ 2017 erzielte, traut man sich noch nicht heran.

Bereits dieser Verkauf war ein Signal dafür, dass Kategorien und Epochen im Top-Auktionssegment keine Rolle mehr spielen – was in den neuen Kunst- und Wunderkammern der globalen Geldelite zählt, ist die Strahlkraft als Trophäe. Und hier kommen die Dinos ins Spiel.

Marilyn-Monroe-Porträt von Andy Warhol

©Christie's

Größer, mächtiger, toller

Der Wissenschaftshistoriker Lukas Rieppel, der an der US-amerikanischen Brown University lehrt, hat in einem 2019 erschienenen Buch überzeugend dargelegt, dass die Entdeckung von Dinosauriern – sowohl als Fossilien als auch als Publikumsmagneten in Naturkundemuseeen – exakt im Gleichschritt mit dem Siegeszug des Kapitalismus US-amerikanischer Prägung passierte.

Zwar wurden die ersten Dino-Skelette um 1820 in England gefunden, doch der Fokus verlagerte sich bald in die USA, wo – im Gefolge von Eisenbahn- und Bergbau – bald die mächtigeren Dinos gefunden und zum Sinnbild für die neue Wirtschaftsmacht stilisiert wurden. Die Financiers und Profiteure dieses sogenannten „Goldenen Zeitalters“ (das übrigens eben erst als Motto der Mode-Gala des New Yorker Metropolitan Museums diente) begründeten nicht nur Kunstsammlungen, sondern auch Naturkundemuseen: Große Figuren waren etwa J. P. Morgan oder Andrew Carnegie, nach dem neben dem bekannten Konzertsaal in New York auch die Dino-Art Diplodocus carnegii benannt wurde.

©Christie's

Reichtum als Naturphänomen

„Diese Philantropen fühlten sich zu Dinosauriern hingezogen, weil diese ein Werkzeug waren, um die Entwicklung des amerikanischen Kapitalismus als naturgegeben darzustellen“, schreibt Rieppel. Die Evolution der Dinos stützte die Idee, dass die Konzentration von Ressourcen in der Hand von Wenigen Vorteile bringen würde. Die Präsentation in großzügig gestifteten Museen, die vom Publikum geliebt und gestürmt wurden, half mit, die Unruhen und Verwerfungen zu glätten, die eine solche Konzentration in der realen Welt verursachte.

Wie Rieppel anmerkt, ist diese Erzählung im heutigen „Goldenen Zeitalter“ weiterhin gültig (die Milliardärsliste des Forbes-Magazins wuchs während der Pandemie um 573 Namen, was auch die Sorge, dem Kunstmarkt könnte die Klientel ausgehen, eher obsolet macht). Was sich verändert hat, sind jedoch die geografischen Hotspots – und auch die Vorstellung der Dinos selbst.

Das größte Dinosaurier-Museum der Welt steht heute in Pingyi, China, finanziert vom Amateurpaläontologen Zheng Xiaoting, der als Manager einer Goldmine reich geworden war. Es passt ins Bild, dass auch viele der prominentesten Dino-Funde in jüngster Zeit aus China stammen. Viele der dort entdeckten Fossilien – etwa der „Sinosauropteryx prima“ – gehören nicht mehr zu elefantösen Riesen von der Art, die man aus Dino-Büchern kennt: Die Tiere waren eher flinke, anpassungsfähige Räuber, ihr Erscheinungsbild war vermutlich von einem Federkleid dominiert.

Vom T-Rex zum Smart Dino

Zu jeder Zeit waren Dinosaurier auch Produkte der Vorstellungskraft, die Lücke zwischen Fossil und Museumsexponat wurde und wird stets auch mit technologischen Innovationen gefüllt. Das nun von Christie’s angebotene Skelett wird bei Interessenten erst gar nicht mehr unter seinem wissenschaftlichen Namen Deinonychus Antirrhopus angepriesen, sondern schlicht als „The Raptor“: Die Spezies sei die Inspiration für den „Velociraptor“ in Michael Crichtons Roman „Jurassic Park“ gewesen, der in Steven Spielbergs Verfilmung ab 1993 eine neue Welle der Dino-Mania lostrat.

Gehörte das Fossil eines Tyrannosaurus Rex mit dem Spitznamen „Stan“, das 2020 ebenfalls bei Christie’s im Kontext einer Kunstauktion angeboten wurde und um 31,8 Millionen US-$ (mehr als das dreifache des Schätzwerts) den Besitzer wechselte, noch zur traditionelleren Saurier-Generation, so ist der „Raptor“, glaubt man den Marketingmaterialien, total zeitgenössisch: Der Deinonychus sei das „smarteste Tier seiner Zeit gewesen“, heißt es da, auch das Buzzword „agil“ findet sich im Ankündigungstext. Und natürlich trug der Dino ein schickes Federkleid.

Auch die Kunst operiert oft mit Objekten, die eine Verwurzelung im Alten und damit Beständigkeit suggerieren. Wie der Marktliebling Damien Hirst 2017 mit dem „Schatz“ eines angeblich gesunkenen Schiffes zeigte, funktioniert das auch, wenn die Geschichte erfunden ist: Wer sich die Objekte leisten kann, ist auch gegen die Verwerfungen der Gegenwart gefeit. Der „Raptor“ wird nun auf 4 bis 6 Millionen US-Dollar geschätzt, und der agile Sammler des Anthropozäns kann sich sicher sein, etwas Zeitloses zu erwerben.

Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

Kommentare