Ausstellung: Das himmlische Kind studiert jetzt Kunst
„Wenn der Wind weht“ im Kunst Haus Wien zeigt starke Kunst zum Thema Luft - wobei zwischen Ökologie- und Formfragen der Fokus verloren geht
Die Tiefdruckgebiete des Jahres 2022 heißen Annette, Famke oder Xaverine. Für heuer sind schon alle Namen vergeben, für 2023 können Interessierte bei der Freien Universität Berlin noch Patenschaften erstehen (Kostenpunkt 240 Euro; ein Hoch ist mit 360 Euro teurer).
Aber haben die Wetterereignisse, die mitunter drastische Folgen zeitigen, auch eine Persönlichkeit, einen Willen gar? Lassen sie sich fassen und bändigen, wenn schon nicht in Wirklichkeit, dann zumindest in Form von Bildern oder Kunstobjekten?
Die Ausstellung „Wenn der Wind weht“ im Kunst Haus Wien geht dieser Frage nach. Und wenngleich sich die Institution die Förderung des ökologischen Bewusstseins auf die Fahnen geschrieben hat, geschieht dies ohne apokalyptische Visionen, sondern in einer – Achtung – luftigen Art und Weise.
Windige Zeiten
Es ist selbst bei größter Vorsicht kaum möglich, die unzähligen Metaphern und Sinnbilder zu umfahren, die sich im Gefolge der Begriffe von Wind und Luft angesammelt haben. Der Kulturwissenschafter Ernst Strouhal verweist hier auf eine lange Bedeutungsgeschichte, in der Windböen Ordnungen durcheinanderbringen, Dinge (und Samen) aber auch fruchtbar in andere Gegenden und Kontexte vertragen. Gemeinsam mit der Künstlerin Liddy Scheffknecht widmete Strouhal dem Thema Lehrveranstaltungen an der Angewandten – das Duo gab in der Folge den Impuls für die Ausstellung. Scheffknecht war gemeinsam mit Verena Kaspar-Eisert vom Kunst Haus für die Kuratierung verantwortlich.
Da bläst einem am Eingang also künstlicher Wind entgegen (ein Werk von Olafur Eliasson), im ersten Saal hält ein Ventilator eine dünne Sperrholzplatte in Schwebe (nach einer Idee von Roman Signer): Zwar gibt es schon lange Personifikationen des Winds wie den Zephir, der in Botticellis „Geburt der Venus“ die Schaumgeborene mit dicken Backen ans Ufer bläst, doch um sichtbar zu werden, braucht der Wind eigentlich ein Gegenstück.
Einige Künstler der Schau liefern tolle Ideen für dieses Darstellungsproblem – etwa Julius von Bismarck, der durch die Luft fliegende Campingzelte fotografierte, oder Eduardo Leal, der mit verwehten Plastikplanen an Dornbüschen auch das Ökologie-Thema mit einbringt. Andere Beiträge greifen auf die uralten Bemühungen zurück, Wind und Wetter zu beeinflussen – so etwa die großartige Fotoserie „Speak the Wind“ von Hoda Afshar, die von kaum bekannten Ritualen im Iran berichtet.
Einatmen, Ausatmen
Angesichts der unglaublichen Reichhaltigkeit und Faszinationskraft des Themas „Wind“ verwundert es allerdings, dass das kuratorische Team die Trennschärfe des Leitbegriffs fallen ließ und sich entschloss, auch Beiträge zu den Motivkomplexen „Luft“ und „Atem“ zu inkludieren.
Nicht, dass die Kunst hier keine anregenden Ideen parat hätte: Die Australierin Emily Parsons-Lord sticht hier hervor, sie produzierte etwa Luftgemische, wie sie im Dinosaurierzeitalter auf der Erde geatmet worden sein könnten, und mischte parallel eine mögliche „Luft der Zukunft“. In einer anderen Arbeit schnitt sie aus Politiker-Reden zum Klimawandel jeweils die Passagen heraus, in denen die betroffenen Personen ein- oder ausatmen, also buchstäblich „heiße Luft“ produzieren. Ein bisschen weit ist es von hier zum Performance-Video „Breathing In / Breathing Out“, in dem Marina Abramović und ihr Partner Ulay 1977 gegenseitige Mund-zu-Mund-Beatmung praktizierten, bis Sauerstoffmangel den Abbruch erzwang.
Starke Kunst, ja – in der Zusammenschau ergibt sich aber eine gewisse Beliebigkeit und Unebenheit zwischen aktuellen Themen und zeitlosen Kunstproblemen, zwischen etablierten Namen der jüngeren Kunstgeschichte und ganz jungen Positionen. Der Wind allein würde dabei mühelos mehrere Ausstellungen beflügeln. Vielleicht gehört der Umstand, dass die Luftströmung das Konzept verweht, aber auch zu ebendiesem.
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