Der abwesende Vater: Worunter die Kinder am meisten leiden
Der Vater ist essenziell für die kindliche Entwicklung, das Selbstwertgefühl und die spätere Beziehungsfähigkeit. Ist er nicht greifbar, hinterlässt das tiefe Wunden und Verletzungen.
Papa ist nicht da! Es gibt viele Formen von abwesenden Vätern: Die einen arbeiten zu viel und sind nur physisch anwesend, die anderen haben durch eine Scheidung weniger Kontakt zu den Kindern und wieder andere verschwinden komplett. Die Gesamtscheidungsrate lag laut Statistik Austria im Jahr 2022 bei 34,5 Prozent.
Nach der Trennung leben die meisten Kinder nach wie vor bei der Mutter. Die gängige Regelung ist, dass der Vater die Kinder an zwei Wochenenden pro Monat sieht oder die Kinder im Wochentakt zwischen Mutter und Vater wechseln, das 50:50 Modell. Kann man hier schon von einem abwesenden Vater sprechen? "Nein, so einfach ist das nicht", sagt die Psychotherapeutin Birgit Ruf, die sich in ihrer Praxis um Kinder und Jugendliche mit traumatischen Erfahrungen kümmert. "Viele Väter schaffen es, die Beziehung zum Kind in ihrer Abwesenheit zu erhalten."
Tiefe Wunden
Im Gegenzug dazu gebe es Väter, die in der Familie leben und durch einen stressigen Beruf weniger Zeit für ihre Kinder haben als Väter nach einer Trennung. Ein komplett absenter Vater führt jedoch bei Kindern zu tiefen Wunden, die sich auch im späteren Leben bemerkbar machen. Birgit Ruf: "Ist der Vater dauerhaft abwesend, ist das für Kinder ein prägender Einschnitt. Kinder beziehen das Verhalten der Eltern allgemein auf sich und haben das Gefühl, nicht brav genug gewesen zu sein oder nicht gefolgt zu haben. Für sie sind die Schuldgefühle das kleinere Übel, um so die Beziehung zu den Eltern zu schützen.“
Nicht liebenswert genug
Fehlende Zuwendung vom Vater hinterlässt seelischen Schmerz und Gefühle wie Wut und Trauer. Es können sich Selbstzweifel und Verunsicherung, aber auch Misstrauen in das andere Geschlecht entwickeln. Vor allem in der Pubertät belastet das die Kinder, ganz egal, wann die Trennung stattgefunden hat. Es gibt also kein richtiges oder falsches Alter für eine Trennung. Ein nicht anwesender Vater prägt Buben wie Mädchen gleichermaßen, nur die Auswirkungen sind andere.
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"Während Buben sich nach außen hin ausdrücken und ihre Wut und Traurigkeit in Aggression umwandeln, ziehen sich Mädchen vermehrt zurück und zeigen sich unauffällig und angepasst", erklärt die Psychotherapeutin. Gemein ist beiden Geschlechtern, dass sie sich nicht liebenswert genug fühlen, weil sich der geliebte Papa nicht mehr um sie kümmert. Das hat Auswirkungen auf das spätere Erwachsenenalter. Ruf: "Es besteht die Gefahr, dass ein junger Mensch langfristig unter dem Verlassenwerden leidet. Bei Symptomen wie Aggression, Isolation oder Einschlafstörungen sollte therapeutische Hilfe gesucht werden.
Prägend für Beziehungen
Die ersten Beziehungserfahrungen mit Mama und Papa prägen unser Bild, wie sich eine Beziehung anfühlt. Nach diesem inneren Drehbuch gestalten wir auch unsere späteren Beziehungen. Wenn dann im Drehbuch steht, dass wir abgelehnt werden, suchen wir auch im Erwachsenenalter nach diesem Muster. Das erklärt auch das Schema von Männern und Frauen, die in der Liebe immer wieder an den falschen Partner geraten.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Vielen Vätern gelinge es, die Verbindung zu den Kindern trotz Trennung aufrechtzuerhalten. Birgit Ruf: "Es gibt viele bemühte Väter, die den Kindern auch in den Phasen, in denen sie nicht räumlich zusammen sind, Aufmerksamkeit schenken. Das kann durch Telefonate oder ehrliches Interesse am Leben des Kindes wie der Schule und Freunden sein. Wenn sich das Kind seiner Bedeutung für den Papa bewusst ist, ist die physische Trennung weniger belastend."
Männliche Bezugspersonen
Bei dauerhaft fehlenden Vätern können männliche Bezugspersonen wie der neue Partner der Mutter oder ein Freund eine wichtige Rolle einnehmen. „Das passiert sogar sehr häufig und kann auch sehr gut für die Kinder sein. Trotzdem bleibt der Schmerz über die Ablehnung und die Unsicherheit manchmal unbewusst bestehen“, erklärt Ruf.
Deshalb ihr Appell: "Ich möchte Vätern verdeutlichen, wie wichtig sie für ihre Kinder sind und dafür, dass sie sich gut entwickeln. Auch wenn die Paarbeziehung schwierig war, sollte man zum Wohle des Kindes probieren, die eigenen Gefühle hinten anzustellen." Auch die Mutter sollte nicht schlecht über den Vater reden. "Es macht einen Unterschied, welche Geschichten rund um das Verschwinden des Vaters erzählt werden. Eigene Verletzungen haben da nichts verloren", so die Expertin.
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