Person Pretending Not to See Someone Waving and Saluting

Warum können manche Menschen nicht grüßen?

Eine Psychologin erklärt die Gründe des Phänomens. Und ob man es persönlich nehmen soll, wenn man nicht zurückgegrüßt wird.

Mit dem Grüßen ist das so eine Sache. Die einen rufen einem schon aus weiter Ferne ein freundliches Wort entgegen, mitunter begleitet von freudigem Schwenken der Arme. Die anderen schweigen beharrlich, und möge man noch so deutlich hörbar einen „Guten Tag“ wünschen. Wer je das Wartezimmer eines Arztes mit einem gut gelaunten Gruß betreten hat und dafür mit hörbarem Schweigen gestraft wurde, weiß, wovon die Rede ist. 

Doch nicht nur den Kranken und Elenden fällt das Bewegen der Lippen bisweilen so schwer, als müssten sie mit einer Hand ein Auto anheben. Dasselbe passiert im Aufzug in der Arbeit, im Buchgeschäft, im Wohnhaus – selbst in ländlichen Gefilden, wo sonst jeder jeden grüßt, schweigt man immer öfter vermeintlich geheimnisvoll. Wann ist (zurück) grüßen nur bloß so in Unmode geraten?

Konfliktvermeidung

Zu persönlich sollte man es jedenfalls nicht nehmen, wird ein Gruß nicht erwidert, rät die klinische und Gesundheitspsychologin Lisa Göschlberger. Man ist abgelenkt, gedankenverloren, unter Zeitdruck – schon verschlägt es einem die Sprache. Dann wiederum spielt das erlernte soziale Verhalten eine große Rolle. Wer als Kind von den Eltern den Glaubenssatz mitbekommen hat, brav zu grüßen, erwartet das auch von anderen, denn „das gehört sich so“. 

Manche wiederum grüßen nur, wen sie kennen. Andere verordnen sich strenge Anonymität: Sie bevorzugen es, auf Distanz zu ihrer Umwelt zu bleiben. Werden sie gegrüßt, fühlen sie sich irritiert und auch nicht verpflichtet, zurückzugrüßen. Manchmal spielt auch Etikette oder ein Machtgefälle mit: Ältere erwarten, von Jüngeren zuerst gegrüßt zu werden, Vorgesetzte von Mitarbeitern. 

Nicht zuletzt können soziale Ängste und Schüchternheit beim Nichtgrüßen von Belang sein, ein oft angeführter Faktor von der GenZ. Hier wird Grüßen vermieden, aus Angst etwas falsch zu machen (dagegen hilft Übung) und aus Konfliktvermeidung, so Göschlberger. Widerfährt einem Letzteres, sollte man es nicht gleich als Ablehnung interpretieren, das werde oft verzerrt wahrgenommen. Meist werden wir öfter gegrüßt, als nicht gegrüßt. In diesem Sinne: Griaß Ihna!

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schrieb für 110%, das Sport- und Lifestyle-Magazin von Die Presse. Seit 2020 Redakteur der KURIER Freizeit mit Reportagen, Kolumnen, Texten zu Kultur, Gesellschaft, Stil, Reise und mehr. Hunderte Interviews, von Beyoncé und Quentin Tarantino über Woody Allen und Hugh Grant bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio sowie in der deutschsprachigen Kulturszene. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Liebt Kino, Literatur und Haselnusseis.

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