Kinder in Kindergarten

Wie Trend-Namen entstehen und warum Emil der neue Kevin sein könnte

Ein kompletter "Austausch" der häufigsten Vornamen braucht 30 Jahre – warum Namen wie Emma und Leon so beliebt sind und welche Namen von der Rangliste wieder verschwunden sind.

Unlängst erzählte Rumer Willis, die Tochter von US-Hollywoodstar Bruce Willis, dass sie und ihr Partner den Vornamen Lorette für ihre Tochter gewählt hatten. Doch als ihr Lebensgefährte in einer Nachricht unabsichtlich Louette schrieb, dachten sich die Eltern, der Vorname mit Tippfehler sei der Schönere und entschieden sich für diesen. Noch vor hundert Jahren vergaben Eltern ihrem Erstgeborenen gerne den Namen des Vaters oder des Großvaters. Das ist heute anders. Die deutsche Namensforscherin Frauke Rüdebusch von der Gesellschaft für deutsche Sprache: "Heutzutage werden Namen nach dem Klang ausgewählt.“

Wenn es um Inspiration für die Auswahl geht, dann sind "noch immer Vornamen-Bücher und die Suche im Internet der Renner".

Eine ganze Generation

In Österreich gehören Emma, Marie, Paul oder Leon zu den Top 10 (siehe Grafiken mit den aktuellsten Daten). Diese Namen spiegeln Trends wider, so die Expertin: "Generell werden Namen immer kürzer: Viel Klang auf kleinem Raum ist das Kriterium. Die Namen tragen viele helle Vokale wie a, e, i, bei den Konsonanten m, n, l. Beispiele: Die Namen Emma, Mia, Lea und Lina werden alle mit den gleichen Buchstaben gebildet und haben ganz viel Klang."

©APA/apa

Bei den Buben-Namen trifft das auch zu, aber etwas weniger: "Bei beliebten Namen wie Leon, Elias und Noah findet man zudem einen sogenannten Hiat: Zwei Vokale treffen in unterschiedlichen Sprechsilben aufeinander: eo, ia, oa."

Wie bei Trends in der Mode oder der Musik baut sich eine Welle langsam auf, die einige Jahre Bestand hat. "Und dann stellt sich ein, dass man die Namen nicht mehr hören kann. Ein kompletter Namens-Austausch der häufigsten Namen braucht eine ganze Generation – also 30 Jahre."

Namen wie Anton und Carla werden vergeben, weil unsere Großeltern-Generation diese Namen freigibt. "Man möchte seine Kinder nicht mit einem existierenden alten Namen belasten. Es muss zuerst ein ,Aussterben’ der Namensträger-Generation geben. Solange der 90-jährige Nachbar Emil auf dem Stock geht, wählt man den Namen eher nicht. Erst wenn der kleine, rothaarige Bub in der Sandkiste Emil heißt."

Parallel zu den Klangkriterien sieht man, dass alte Namen wieder an Fahrt aufnehmen. Dass in Österreich Namen wie Elias oder David beliebt sind, habe nichts mit deren biblischer Bedeutung zu tun: Auch hier stehe "Altes wird neu" im Mittelpunkt der Wahl. Zudem handelt es sich um kurze Namen, die dem Trend entsprechen. Auf österreichischen und süddeutschen Listen spiegelt sich das Traditionsbewusstsein stärker wider als in Deutschland: Beliebte Namen wie Theresa und Magdalena lassen die Motive Klang und Kürze hinter sich.

Kevin ist "Diagnose"

Viele werden sich noch an jene Umfrage aus dem Jahr 2009 erinnern, die für großes Erstaunen im deutschen Sprachraum sorgte: Laut dieser war die Mehrheit der befragten Volksschullehrer der Meinung, man könne anhand des Vornamens der Kinder Rückschlüsse auf deren Schulleistung ziehen. Noch heute, 15 Jahre nach der Erhebung, ist ein Zitat aus der Umfrage in Erinnerung: "Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose“ bezogen auf verhaltensauffällige Kinder.

Das Ergebnis von damals wäre heute nicht wiederholbar: "Kevin würde heute nicht mehr genannt, weil der Name nicht mehr häufig vergeben wird. Sobald viele Kinder den gleichen Namen tragen, gibt es auch verhaltensauffällige Kinder darunter. Früher waren es vielleicht Namen wie Torsten oder Tobias, heute könnte bei so einer Umfrage Emil genannt werden."

Solche Nennungen unterscheiden sich von Schule zu Schule. Freilich handelt es sich bei solchen Antworten immer um Pauschalurteile, die man nicht auf andere Kinder anwenden kann, so die Namens-Expertin. 

©Grafik

Wie stark hängt das Auswählen von Namen überhaupt mit dem Bildungsstand zusammen? "Die oberen sozialen Schichten wollen sich von den unteren abgrenzen und Namen auswählen, die nicht dem Trend entsprechen. Darunter fallen auch Namen, die lange nicht vergeben wurden. Sobald diese Schichten diese Namen für sich entdeckt haben, werden sie von der übrigen Bevölkerung übernommen, und so wiederholt sich der Kreislauf. Manche Namen wie Kevin sind "verbrannt". Genauso wie andere englischsprachige oder französische Namen wie Jacqueline, Justin oder Chantal. 

Welche Namen im kommenden Jahrzehnt Top 10 sein werden, wagt Rüdebusch nicht zu tippen. Aber sie gibt eine Prognose für die Plätze 20 bis 30: Bei den Mädchen werden es Mathilda, Maya, Frieda oder Lilli sein. Bei den Buben könnte es Anton, Levi, Oskar oder Mohammed (Anm: In Wien auf Platz 6) sein.

Interview

KURIER: Unlängst erzählte die Tochter von Bruce Willis, Rumer Willis, dass sie eine Louette bekommen hat. Der Name geht allerdings auf einen Tippfehler in der Nachricht ihres Lebensgefährten zurück. Ursprünglich wollten die Eltern eine Lorette. Was weiß man aus Studien, wie Eltern die Vornamen ihrer Kinder ausgewählt haben?

Frauke Rüdebusch: Heutzutage werden Namen nach dem Klang ausgewählt. Wenn es um die Quellen geht, dann vermute ich, dass noch immer Vornamen-Bücher und die Suche im Internet der Renner ist. Das schließt nicht aus, dass eigene Listen geführt und Namen notiert werden.

Wie stark hängt das Auswählen von Vornamen heutzutage noch mit dem Bildungsstand oder dem sozialen Hintergrund zusammen?

Das lässt sich nicht pauschalisieren, doch Tendenzen gibt es noch immer. Die oberen sozialen Schichten wollen sich von den unteren abgrenzen und Namen auswählen, die nicht dem Trend entsprechen. Darunter fallen auch Namen, die lange nicht vergeben wurden. Sobald diese Schichten diese Namen für sich entdeckt haben, entdecken natürlich andere Schichte die Namen und vergeben diese auch. So wiederholt sich dieser Kreislauf. Manche Namen wie Kevin sind „verbrannt“. Genauso wie andere englischsprachige oder französische Namen wie Jacqueline, Justin oder Chantalle. Die Namen werden von der übrigen Bevölkerung übernommen, werden häufiger und schließlich nicht mehr gewählt: Das klassische Beispiel dafür ist Kevin.

„Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose“ hat eine befragte Lehrperson in der viel zitierten Umfrage geantwortet – ist das Ergebnis von damals heute noch wiederholbar?

Kevin würde heute nicht mehr genannt, weil der Name nicht mehr häufig vergeben wird. Sobald viele Kinder den gleichen Namen tragen, gibt es auch verhaltensauffällige Kinder darunter. Früher waren es vielleicht Namen wie Torsten oder Tobias, heute könnte bei so einer Umfrage Emil genannt werden. Solche Nennungen unterscheiden sich von Schule zu Schule. Freilich handelt es sich immer bei solchen Antworten immer um Pauschalurteile, die man nicht auf andere Kinder anwenden kann: Wenn heute Emil genannt werden würde, dann weil manche Kinder dieses Namens auffällig sind, manche aber nicht.

Spitz könnte man ja sagen, dass wir durch die Globalisierung die gleichen Namen hören: Wir haben alle von dem Buch oder Kinofilm Lauras Stern gehört und sind mit dem Namen Laura aufgewachsen.

Ich würde die Wahl eines Vornamens nicht auf Filme und Bücher zurückführen. Die wahrscheinlichere Variante ist, dass der Namen vielleicht zunächst auch wegen des Buchs vergeben wird: Andere hören den Namen dann auch, finden ihn vielleicht schön und vergeben ihn selbst, haben aber selbst keine Verbindung zu dem Buch.

Die Globalisierung trägt insofern nicht dazu bei, dass die gleichen Namen vergeben werden, sondern dass der Namensschatz anwächst. Wie zum Beispiel englischsprachige Namen. Vor 40 bis 50 Jahren Jahren wurden in Deutschland ausländische Namen nur dann beurkundet, wenn die Eltern in dieser Kultur verwurzelt waren. Heute dürfen alle frei entscheiden: Ein arabischstämmiges Kind kann den Namen Torsten bekommen, ein deutschstämmiges Kind Mohammed.

Emma und Maximilian sind in Österreich die Nummer eins. Im Jahr zuvor waren es Marie und Paul. Spiegeln diese Vornamen aktuelle Trends wider?

Maximilian wäre für Deutschland sehr ungewöhnlich: Hier spielt mehr das Motiv der Tradition hinein – in Deutschland ist dieser Name auf den Zweitnamen-Listen vorne.  Generell werden Namen immer kürzer: Viel Klang auf kleinem Raum ist das Kriterium. Die Namen tragen viele helle Vokale wie a, e, i, bei den Konsonanten m, n, l. Beispiele: Die Namen Emma, Mia, Lea und Lina werden alle mit den gleichen Buchstaben gebildet und haben ganz viel Klang. Bei den Buben-Namen trifft das auch zu, aber etwas weniger. Bei beliebten Namen wie Leon, Elias und Noah. Hier findet man zudem einen sogenannten Hiat: Zwei Vokale treffen in unterschiedlichen Sprechsilben aufeinander (eo, ia, oa).

Bei den österreichischen Top 10 der Buben-Namen fällt auf, dass mit Paul (abgeleitet von Paulus), Jakob, Elias, David und Lukas gleich mehrere Namen aus der Bibel vertreten sind. Wie lässt sich das erklären, wenn die österreichische Gesellschaft doch immer säkularer wird?

Die biblische Bedeutung der Vornamen spielt eine sehr ungeordnete Rolle. Diese Namen werden vergeben, weil sie wiederentdeckte, alte Name sind. Hier geht es um das Motiv „Altes wird neu“. Zudem handelt es sich um kurze Namen, die wiederum dem Trend entsprechen. Auf österreichischen und süddeutschen Vornamen-Listen spiegelt sich das Traditionsbewusstsein dennoch stärker wider. Namen wie Theresa und Magdalena lassen Klang und Kürze hinter sich.

Ein großer Trend geht in Richtung seltene Vornamen, dennoch halten sich bestimmte Namen hartnäckig in den Top-Listen. Wie passt das zusammen?

Sobald seltene Namen häufiger vergeben werden, waren sie einmal selten und sind es nicht mehr. Selten bedeutet, wenn Namen vielleicht zweimal oder auch zwanzig Mal im Jahrgang vergeben werden, aber nicht 200- oder gar 2000-mal. Trends werden erst Trend, weil etwas vormals Seltenes häufig wird. Wie bei Trends in der Mode oder der Musik baut sich eine Welle auf, die einige Jahre Bestand hat. Und dann stellt sich ein, dass man die Namen nicht mehr hören kann. Ich muss aber einwerfen, dass die Namen unter den Top 10 nicht so häufig sind wie vermutet. Ein kompletter Namens-Austausch der häufigsten Namen braucht eine ganze Generation – also 30 Jahre.

Stimmt die Vermutung, dass alle Vornamen ihre Zeit haben und wieder kommen? Dass Namen wie Anton, Theo, Adele und Carla jetzt vergeben werden, weil unsere Großeltern-Generation diese Namen freigibt.

Ja, das ist richtig. Solange wir noch Giselas oder Horsts kennen, denken wir bei diesen Namen an eine alte Generation. Man möchte seine Kinder nicht mit einem existierenden alten Namen belasten. Es muss zuerst ein „Aussterben“ der Namensträger-Generation geben. Solange der 90-jährige Nachbar Emil auf dem Stock geht, wählt man den Namen eher nicht. Erst wenn der kleine, rothaarige Bub in der Sandkiste Emil heißt. Es kann sein, wenn auch die Namen Gisela und Horst „ausgestorben“ sind, dass die Namen wieder entdeckt werden. Es passiert aber nicht mit allen Namen.

Sehen Sie schon einen Gegentrend im kommenden Jahrzehnt? Auf welche Namen tippen Sie?

Nicht so direkt. Parallel zu den Klangkriterien sieht man, dass alte Namen wieder an Fahrt aufnehmen. Man sieht immer wieder mal, dass ein Name aufholt wie Matteo von Platz 13 auf Platz 4 und inzwischen auf 2. Der Vorname fällt noch in das Schema „relativ kurz“ und er enthält ein Hiat. Welche Namen in die Top 10 kommen, wage ich nicht zu vermuten, eher Namen, die wir auf Platz 20 bis 30 finden werden. Beispiele sind Mathilda, Frieda, Maya oder Lilli. Bei den Buben könnte es Anton, Liam, Oskar, Levi oder auch Mohammed sein.

Es gibt eine österreichische Politikerin, die ihre Kinder Sonnhild, Mechthild, Hedda, Ute etc genannt hat: Können Vornamen politische Einstellungen der Eltern transportieren?

Das zu behaupten, wäre vermessen. An diesen althochdeutschen Vornamen könnte man eher ablesen, ob es sich um Akademiker handeln, aber man kann keine Ideologie ablesen. Diese Namen haben ihre Berechtigung. Eher wenn man sein Kind Adolf nennt, könnte man eine Ideologie ablesen, aber auch dieser Vorname wird aus traditionellen Gründen vielleicht als Zweitname vergeben.

Anita Kattinger

Über Anita Kattinger

Leidenschaftliche Esserin. Mittelmäßige Köchin. Biertrinkerin und Flexitarierin. Braucht Schokolade, gute Bücher und die Stadt zum Überleben. Versucht die Welt zu verbessern, zuerst als Innenpolitik-Redakteurin, jetzt im Genuss-Ressort.

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