Oscar-Preisträgerin Patricia Arquette: "Habe eine ganz neue Rolle"
Für die preisgekrönte Schauspielerin startet ein neuer Lebensabschnitt, einen Teil des Jahres will sie vielleicht sogar in Wien leben.
Entspannt sitzt sie auf der Terrasse eines Wiener Luxushotels und blinzelt der Sonne entgegen, neben ihr ein Cappuccino und ein stilles Wasser. Am Abend zuvor ist Patricia Arquette erst gelandet, und morgen früh geht es wieder zurück nach Amerika. Dazwischen ist sie Stargast bei einem Charityabend von Carina und Ali Rahimi, wo für sauberes Wasser und nachhaltige Sanitärlösungen Bewusstsein geschaffen wird.
Doch müde wirkt sie nicht. Ihre Haare sind zu einem Pferdeschwanz gebunden, sie trägt Jeans und Jeansjacke, auffallend sind ihre kunterbunten Schuhe mit unzähligen Fransen, darunter rotrosa Socken. Sofort ist zu erkennen: Diese Frau hat Stil, Selbstbewusstsein und weiß, was sie will. Und sie hat Großes vor, wie sie im Interview verrät.
Sie sind engagiert in Projekten rund um Gleichberechtigung, etwa wenn es um die Bezahlung von Mann und Frau geht, oder beim Ausbau sanitärer Versorgung in Entwicklungsländern. Woher kommt dieser Einsatz?
Patricia Arquette: Frauenrechte liegen mir sehr am Herzen. Meine Eltern wollten sich trennen, doch meine Mutter hatte Brustkrebs. Sie konnte sich nicht scheiden lassen, weil sie ihre Krankenversicherung verloren hätte. Sie war also abhängig, eine Situation, wie viele andere Frauen in den USA sie auch haben. Dadurch habe ich begonnen, mich für Gleichberechtigung einzusetzen. Was den Ausbau der sanitären Anlagen betrifft, war der Anstoß das Erdbeben in Haiti 2010. Jeder ist es gewohnt, ein Badezimmer zu haben. Aber so ist es nicht.
Was fühlten Sie in Haiti?
Auch ich war arm, als ich klein war. Nicht so sehr wie die Kinder in Haiti, aber auch wir hatten kein Badezimmer.
Wo haben Sie sich geduscht?
Wir mussten die Straße nach unten gehen zu einem anderen Gebäude. Aber seit ich in Haiti war, haben wir Pilotprojekte gestartet, etwa in Uganda, Kenia, dort arbeiten wir auch mit Partnern.
Nun kommen Sie aus dem glanzvollen Hollywood und treffen dort auf sehr arme Menschen. Wie werden Sie dort empfangen?
Viele wissen das gar nicht, sie registrieren nur, dass man mit ihnen Seite an Seite arbeitet. Man ist einfach nur eine Person.
Sie haben so viele Projekte. Welches liegt Ihnen denn am meisten am Herzen?
Es gibt kein bestimmtes. Ich setze mich ein für Frauenrechte und Gleichberechtigung – meine Schwester war Transgender. Es war dramatisch zu sehen, wie sie mit Diskriminierung kämpfen musste. Auch furchtbar ist es, wie manche in den USA versuchen, die Rechte anderer wegzunehmen – etwa bei Abtreibungen. Der Staat zwingt Frauen zu Schwangerschaften, selbst wenn ihre Gesundheit auf dem Spiel steht.
Haben Sie je darüber nachgedacht, in die Politik zu gehen?
Manche haben versucht, mich davon zu überzeugen. Aber nein, es ist so schwierig, manches umzusetzen. Und: Ich liebe ja auch das Schauspielen.
Sie standen mit 18 Jahren das erste Mal vor der Kamera, was hat sich seither in Hollywood verändert?
Vieles, alleine technisch. Damals gab es den klassischen Film, jetzt ist alles digital.
Ist es schwieriger geworden?
In gewisser Form ist es leichter geworden, auch in der Kommunikation. Meine Schwester war eine der Ersten, die von Übergriffen durch Weinstein erzählte. Das hatte großen Einfluss auf Hollywood und zeigte: Es gibt viel mehr Kommunikation als früher zum Thema Arbeitsverhältnisse und -verhalten.
Sie haben viele verschiedene Rollen in Ihrem Leben inne: Mutter, Schauspielerin, Charity-Helferin.
Ja, aber ich habe jetzt eine ganz neue Rolle, die ich noch nie in meinem Leben hatte!
Welche?
Ich wuchs auf in einer Familie mit vielen Kindern, wir hatten immer Schwierigkeiten finanziell über die Runden zu kommen. Wir mussten also früh erwachsen werden. So habe ich mich immer um andere gekümmert. Jetzt sind meine Kinder groß, meine Tochter ist 21, mein Sohn 36. Ich bin Single, und es ist das erste Mal in meinem Leben so, dass ich das tun kann, was ich will. Das ist auch ein bisschen beängstigend, weil man sich die Frage stellt: Was will ich denn eigentlich tun? Wo will ich leben?
Haben Sie Träume?
Ich möchte einen Teil des Jahres in Europa leben. Ich habe Europa immer geliebt, hier leben so viele wunderbare Künstler. Es ist zwar beängstigend, nicht zu wissen, wo es hingehen wird für mich, aber ich bin auch aufgeregt deshalb, weil es fühlt sich so anders an als alles andere zuvor.
Ist das nicht auch schön?
Ja! Ist es!
Haben Sie schon Städte oder Länder im Auge, in denen Sie leben wollen?
Ich liebe Wien, auch Paris, ich habe viele Freunde in London und Rom, aber auch in Griechenland fühle ich mich wohl. Doch da ist auch ein Teil in mir, der sagt: Lebe doch mal sechs Monate in den Bergen, ganz alleine und erlebe die Stille.
Wie bleiben Sie auf dem Boden?
Man muss diesen Mikrokosmos erkennen und es nicht so ernst nehmen. Es war sehr seltsam für mich, als ich den Oscar gewonnen habe, jeder die Aufmerksamkeit auf mich richtete. Es gibt aber auch eine lustige Seite daran: Die Kleider sind wunderschön und andere Künstler gestalten diese Kleider. Man kommt also mit Menschen zusammen, mit denen man zuvor keinen Kontakt hatte und feiert durch das Tragen auch ihr Werk. Mein Leben hat mir gezeigt: Ich bin Ich, überall. Und ich habe Menschen kennengelernt, die authentisch sind.
Wie filtern Sie die „richtigen“ Freunde?
Die meisten meiner Freunde kenne ich schon sehr lange, seit wir fünf oder sechs Jahre waren. Manchmal hören wir uns ein halbes oder ganzes Jahr nicht, aber wir sind uns immer gleich nahe, können einander immer anrufen. Ich habe echte Menschen in meinem Leben, mit Spiritualität und Werten. Ich lernte aber auch viele kennen, die keine Werte haben oder Ethik missachten. Die kommen aber nicht zwingend aus Hollywood, ob man es glaubt oder nicht. Diese Leute sind überall, in allen Branchen. Das ist das Beängstigende: Wenn man das wahre Wesen mancher erkennt. Aber das liebe ich am Schauspiel: Ich kann diese Leute spielen.
Gibt es eine Rolle, die Sie gerne einmal spielen wollen?
Nein, ich würde gerne mehr in historischen Genres spielen, auch Horror, Fantasy. Meine schwierigste Rolle war in „The Wannabe“. Der Charakter war unterdrückt, hatte Gedanken, aber sprach nicht darüber. Das war eine Rolle, die ich sehr schwer wieder abschütteln konnte. Auch bei „Escape at Dannemora“ erlebte ich das.
Wie streifen Sie die Rollen ab?
Für mich ist das seltsam, weil ich als Schauspielerin ja das Denken und Fühlen der Charaktere verinnerliche. Ich wuchs mit körperlicher Gewalt und Drama auf, so bin ich wohl mit meinem eigenen Körper nie in Kontakt gekommen und habe meine Gefühle immer zurückgestellt. Ich fühlte mich aber auch stark, weil ich vieles überstanden habe. So entwickelte ich eine innere Stärke, die andere nicht haben. Jetzt versuche ich, zu meinem eigenen Körper und Sein zurückzukehren. Wenn ich also eine Rolle spiele, die diese Unterdrückung beinhaltet, ist es für mich wichtig, das sofort zu erkennen, das braucht manchmal ein wenig.
Sie wollten auch einmal Nonne werden.
Ja, ich ging in eine katholische Schule und ich liebte die Kleidung und die Lehre von Jesus, da dachte ich: Das passt zu mir.
Sind Sie glücklich, dass es anders kam?
Ja, wegen meiner Kinder und ich habe ja dieses wunderschöne Leben. Das heißt nicht, dass ich nicht doch eines Tages eine Nonne bin, wer weiß.
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