Nussknacker Mausekönig

Warum der Weihnachtsklassiker Nussknacker eine harte Nuss ist

Das Ballett geht auf E. T. A. Hoffmanns „Nußknacker und Mausekönig“ zurück. Seit jeher sind Experten uneins, ob das ein Kindermärchen ist.

Selbst wenn Corona keinen Strich durch die Rechnung machen würde, das Staatsballett Berlin zeigt heuer seinen Publikumsrenner „Nussknacker“ nicht. Die 1,5 Millionen Euro teure und pompöse Klassiker-Inszenierung bleibt im Fundus und Kulissendepot. Die stark an die Original-Aufführung angelegte Produktion aus dem Jahr 1892 sei nicht mehr zeitgemäß – ein arabischer Tanz mit Haremsdamen, ein chinesischer Tanz und andere Stereotypen seien im Jahr 2021 problematisch. Anderswo gilt das Stück von Pjotr Iljitsch Tschaikowski immer noch als Weihnachtsklassiker.

Und auch sonst ist der Stoff beliebt. Barbie trifft in einem animierten Film auf den Nussknacker und Disney hat die Geschichte in „Der Nussknacker und die vier Reiche“ mit Keira Knightley, Hellen Mirren und Morgan Freeman weitererzählt.

Verhexter Bursch

Sie alle gehen zurück auf das Kunstmärchen „Nußknacker und Mausekönig“ von E. T. A. Hoffmann, das 1816 erschienen ist.

Darin bekommt Marie, ein „frommes vernünftiges Kind“ am Heiligen Abend einen Nussknacker geschenkt. Dieser ist ein „angenehmer, aber leider von Frau Mauserinks verhexter“ Bursch und erwacht zum Leben. Marie hilft ihm dabei, den bösen Mausekönig mit sieben Köpfen zu besiegen, der hinter ihm her ist.

In der Nacht erwacht Spielzeug zum Leben. Der Nussknacker und Soldaten müssen sich gegen den siebenköpfigen Mausekönig und seine Mitstreiter behaupten.

©Bridgeman Art Library / picturedesk.com

Die Vorgeschichte ist das eingeschobene „Märchen von der harten Nuss“. Das erzählt, wie Frau Mauserinks eine „engelschöne“ Prinzessin „verhäßlicht“ und für ihre Erlösung ein Jüngling gefunden werden muss, der die harte Nuss Krakatuk aufbeißen kann. Dazu darf er noch nie rasiert worden sein, noch nie Stiefel getragen haben. Obendrauf muss er mit geschlossenen Augen sieben Schritte rückwärts gehen. Und wie so oft bei Hoffmann ist nicht immer klar, wo die Grenzen zwischen Einbildung, Traum und Wirklichkeit liegen.

Bürger und Märchen

Oder wie es das „E. T. A Hoffmann Handbuch“, herausgegeben von Christine Lubkoll und Harald Neumeyer, zusammenfasst: „Im Spiel mit drei Wirklichkeitsebenen, jenen einer bürgerlichen Welt, einer Märchen- und einer Traumwelt Maries erzählt Hoffmann von der Sozialisation der anfänglich siebenjährigen Marie, die am Ende des Textes, unter den anderen Zeitbedingungen der Märchen- und Traumwelt, den ehemaligen Nussknacker ehelicht.“

„Nußknacker und Mausekönig“ ist wahrlich eine harte Nuss. Der Text wird mehrmals gebrochen und hat auch einen Witz, der sich Kindern wahrscheinlich noch nicht erschließt. „Die Frage, ob man von einem ,Kindermärchen’ sprechen könne, war in der Rezeptionsgeschichte von Anfang an ein Dauerbrenner“, erklärt der deutsche Germanist Klaus Kanzog. E. T. A. Hoffmann habe das selbst in seiner Erzählsammlung „Die Serapionsbrüder“ fiktive Autoren thematisieren lassen.

Die neuere Forschung sieht „Nußknacker und Mausekönig“ mittlerweile als Kinderbuch-Klassiker. Es gilt als erstes romantisches Kinderbuch, das Einblicke in die kindliche Fantasie liefert und in einer Reihe mit Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ steht. Und es sei wie Harry Potter eine „All-Age-Literatur“, die sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene richtet.

Ein Märchen im Märchen "Nußknacker und Mausekönig": Mäuse stauben von der Königin Speck ab. Sie ziehen sich den Unmut des Königs zu und werden verbannt.

©Bridgeman Art Library / picturedesk.com

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann war ein kreativer Kopf und hatte viele schräge Ideen. In den „Lebensansichten des Kater Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern“ ließ er ein sich für gebildet haltendes Tier eine Biografie schreiben. Das Papier, auf das er seine Lebensansichten bannt, ist aber auch teilweise mit der Lebensgeschichte des Kapellmeister Kreislers bedruckt. Da kommt einiges durcheinander. Vieles hatte bei Hoffmann einen hochgeistigen Hintergrund: Alkohol. Er kippte für seine Inspiration alles in sich hinein, was er kriegen konnte – meist auf Kredit: Punsch, Rum, Wein, Kirschwasser. Nur Bier mochte er nicht. Das war für ihn ein geist- und seelenloses Gebräu.

Gruselige Doppelgänger

Aber der Alkoholkonsum soll keinesfalls verharmlost werden. Der löste durchaus auch Horrortrips aus, nicht ohne diese nachher in Literatur zu verwandeln. In sein Tagebuch schrieb er: „Alle Nerven excitiert von dem gewürzten Wein –  Anwandlung von Todes-Ahndungen – Doppelt-Gänger.“ Solch finsteren Dinge wie ein böses Ebenbild tauchten dann in Werken wie „Die Elixiere des Teufels“ auf. Nicht ohne Grund heißt er auch „Gespenster-Hoffmann“ und gilt als wichtiger Vertreter der Schwarzen Romantik.

Tänzer des Tschechischen Nationalballetts bei einer Nussknacker-Aufführung  im Prager Nationaltheater. 

©EPA/MARTIN DIVISEK

Als er mit 46 Jahren starb, hinterließ er eine Menge Schulden. Seine Frau musste gar den Nachlass ablehnen. Hauptgläubiger war der Besitzer des Berliner Weinhauses „Lutter & Wegner“, wo der Dichter so intensiv dem Alkohol zusprach. Er hatte dort 1.116 Reichstaler und 21 Groschen Schulden, was mehr als sein Jahresgehalt als Kammergerichtsrat war. Johann Christoph Lutter verzichtete aber auf seine Forderung. Die Begründung: Hoffmann habe so viel Wirbel gemacht und dadurch viel mehr Gäste angezogen, dass der Schaden dadurch eigentlich gut gemacht worden wäre.

E. T. A.  Hoffmann war ein kreativer Kopf und dem Alkohol verfallen.

©akg-images / picturedesk.com

Der Schriftsteller war zu Lebzeiten prominent – wie auch seine Werke. Wie sehr, zeigt sich auch am „Nußknacker und Mausekönig“. „Für die besondere Wertschätzung spricht die souveräne Übersetzung von Alexandre Dumas ‚Histoire d’un casse-noisette‘, die er 1845 unter eigenem Namen (!) publizierte“, sagt Literaturforscher Kanzog. „Dumas war eine literarische Autorität.“

Seine Bearbeitung diente dann als Vorlage für das heute so berühmte Ballett, das 1892 uraufgeführt wurde. Das Lob der Kritik war aber zunächst enden wollend, wie Kanzog schildert: „Tschaikowskis Ballett war in Sankt Petersburg ein Misserfolg und begann seinen Siegeszug erst nach 1921.“

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

Kommentare