Ein Mann im Anzug steht im Spotlight

Jeff Mills: "Techno ist mehr als Wochenende und Tanzen"

Jeff Mills ist Techno-Pionier. Am 11. Mai kommt er mit „Tomorrow Comes the Harvest“ zum Donaufestival Krems. Der Musiker über die Grenzen des Techno und Exzess.

Er ist für Techno das, was die Rolling Stones für den Rock sind: ein Mythos, eine Instanz. Einer, der mehrere Generationen beeinflusst.

Jeff Mills gehörte zu denen, die ab Ende der Achtziger den Sound ihrer Heimatstadt Detroit groß machten. Er war Mitbegründer von Underground Resistance, einem Kollektiv, das politische Botschaften mit musikalischem Eigensinn verknüpfte. Kraftwerk trifft auf Public Enemy – so wurde ihr Stil beschrieben.

Mit Sturmhauben und kompromisslosem Auftreten rebellierten sie gegen die Kommerzialisierung des Techno. Sie brachten Härte in den groovigen, elektrolastigen Detroit Techno. Im Berlin nach der Wende entfaltete sich ihre Energie mit voller Wucht.

The Wizard begeisterte auch Eminem

Mills war nicht nur musikalisch kompromisslos, sondern auch technisch eine Ausnahmeerscheinung. Als DJ mixte er so schnell, dass er die Platten nach dem Auflegen nicht in den Koffer zurücksortierte – er warf sie einfach hinter sich. Ein Magier an den Turntables. Nicht umsonst nannte man ihn „The Wizard“ – ein Spitzname, den auch Eminem in einem seiner Songs verewigte. Sein Track „The Bells“, erschienen vor gut 30 Jahren, ist bis heute ein Klassiker für Eskalationen auf dem Dancefloor.

Doch Mills ist mehr als ein Mythos der Vergangenheit, er ist immer auch Visionär. Während heute Plattformen wie Boiler Room DJ-Sets millionenfach streamen, veröffentlichte er bereits 2004 mit „The Exhibitionist“ eine DVD, die das DJ-Handwerk mit filmischer Kunstfertigkeit dokumentierte. 

Und wenn Red Bull das österreichische Drum’n’Bass-Duo Camo & Krooked mit Orchester auftreten lässt, erinnert das an Jeff Mills’ Konzert mit dem Philharmonischen Orchester von Montpellier – im Jahr 2005. Dazu fusioniert er mit der Band „Spiral Deluxe“ Jazz und Electronic. Kürzlich erschien das Album „The Love Pretender“.

Warum Jeff Mills Experimente vermisst

Ob er sich erklären kann, warum er früh etwas macht, das später Standard wird? „Ich habe nie geglaubt, dass dieses Genre oder frühere Künstler-Generationen ein Niveau erreicht haben, bei dem alle interessanten Ideen erforscht und ausgeschöpft wurden“, erklärt er der KURIER freizeit. In bestimmten Bereichen des Genres – bei Partys, bei DJ-Sets oder bei Kompositionen – vermisst er kreative Ansätze und mutige Experimente. 

„Wir spielen immer noch konsequent Szenarien durch, die schon vor 40 und 50 Jahren verwendet wurden. Trotz aller technologischen Fortschritte neigen wir dazu, das zu bevorzugen, was war, und nicht das, was sein wird. “ So stelle sich die Frage, ob es in der Techno-Musik eher um die Zukunft oder um die Vergangenheit geht. „Wie sehr bewegen wir uns vorwärts, wenn wir uns wiederholen?“

Mit „Tomorrow Comes The Harvest“ zeigt er, dass musikalische Vision nicht zwangsläufig in der Vergangenheit verhaftet bleiben muss. Das Projekt, das er gemeinsam mit Jazz-, Afrofunk- und Avantgarde-Musikern entwickelt hat, ist ein Gegenentwurf zum Techno-Standard: kein Dancefloor-Baukasten, keine „harten Bretter“, sondern ein organischer Prozess aus Elektronik, Funk und spirituellem Jazz.

Techno hat bei mir keine Grenzen.

Jeff Mills Techno-Pionier

Am Sonntag, 11. Mai, tritt er damit beim Donaufestival Krems im Klangraum Minoritenkirche auf. Die ursprüngliche Idee geht auf eine Einladung des Schlagzeugers Tony Allen zurück, dem Mitbegründer des Afrobeat. Allen hatte ein Studio in Paris gemietet und Musiker zu einer Jamsession eingeladen. „Als wir bei diesem Treffen feststellten, wie gut wir zusammen improvisieren konnten, beschlossen wir, Musik zu machen.“

Drei Männer an ihren elektronischen Geräten, Keyboards und unterschiedlichen Trommeln.

Mit dem Impro-Projekt „Tomorrow Comes The Harvest“ spielt Jeff Mills (re.) am Donaufestival in Krems. „Es geht um die Momente der Schöpfung, und die Aufführungen sind nie gleich“, sagt er.

©Thomas Ecke Berlin

Ein gemeinsames Album entstand – doch Allen verstarb 2019. Nach einer Pause überdachte Mills das Projekt neu. Die Idee: verschiedene Künstler zusammenzubringen, um auf der Bühne zu improvisieren. „Der kreative Prozess würde sich vor einem Publikum abspielen, das auch in den Prozess einbezogen werden könnte“, erklärt Mills. „Es geht also um die Momente der Schöpfung, und die Aufführungen sind nie gleich.“

Durchs Improvisieren, sagt Jeff Mills, habe er ein neues Verständnis dafür entwickelt, „was es bedeutet, Musiker und Künstler zu sein“. Gerade in der elektronischen Musik bestehe die Gefahr, sich zu sehr auf Technik und Geräte zu verlassen. Und es sei schwierig, die Gedanken eines Komponisten weiterzugeben. „Also habe ich eine Möglichkeit entwickelt, das elektronische Instrument physisch zu ‚spielen’ – ähnlich wie ein Gitarrist eine Gitarre oder ein Schlagzeuger ein Schlagzeug spielt. So kann ich spontan sein, wenn ich mit anderen musiziere. Ich kann jetzt ausdrucksstark sein und ein Solo auf meinem Instrument spielen.“

"Wir waren in einer Anfangsphase der Kunstform"

Dementsprechend weit fasst er auch sein Genre: „Techno hat bei mir keine Grenzen“, sagt er. „Ich bin mir nicht sicher, ob diese Herangehensweise typisch für die elektronische Musik ist, aber ich habe das Gefühl, dass die vergangenen 40 Jahre im Grunde eine Anfangsphase in der Entwicklung einer Kunstform waren.“ Es sei notwendig gewesen, zu experimentieren, bestimmte Ideen zu verfeinern – und dabei zu erkennen, wie viel Potenzial elektronische Musik jenseits von Wochenende und Tanzfläche hat. „Techno hat für mich jetzt viel mehr Bedeutung, weil ich verschiedene Möglichkeiten sehe, Menschen zu erreichen, nicht nur durchs Tanzen.“

Wenn Jeff Mills im Club oder bei Raves auflegt, gibt es kein Lächeln, keine Pose. Stattdessen: Konzentration, Präzision, Kontrolle – in einem Umfeld, das den Exzess liebt. Diese Wildheit, sagt er, finde sich überall dort, wo ein gewisses Maß an Freiheit herrscht. Nur: „Für mich war das nie ein Thema, weil ich mich nie wirklich für diese Art von Exzess interessiert habe. Ich liebe die Musik sehr. Ich trinke nicht (viel) und rauche nicht (irgendetwas).“

Jeff Mills legt konzentriert Platten auf

So kennen ihn Generationen von Techno-affinen Partymenschen: Jeff Mills als DJ beim Auflegen (hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2007).

©Thomas Frey/Imago

Meist konzentriere er sich darauf, den Abend gemeinsam mit Licht- und Tontechnikern so angenehm und unvergesslich wie möglich zu gestalten. „Ich bin Teil des ‚Motors’, der gut funktionieren muss, denn all die Leute auf der Tanzfläche müssen ja irgendwo hin! Das ist wirklich eine ernsthafte Arbeit.“

Darum beschäftigt er sich mit dem Film Metropolis

Apropos ernsthafte Arbeit: Seit Jahren beschäftigt sich Jeff Mills intensiv mit Fritz Langs „Metropolis“. Der Film lässt ihn nicht los. Er hat eine eigene Filmmusik dazu komponiert, die er in ausgewählten Kinos – etwa im vergangenen Jahr im Wiener Gartenbaukino – auch live aufführt. Für ihn transportiert „Metropolis“ eine zentrale Botschaft: „Trotz aller Fortschritte, die die Menschheit gemacht hat, gibt es immer noch zu viele Menschen, die mit dem Glauben (oder dem Wunsch) leben, dass nicht alle Menschen kulturell und spirituell miteinander verflochten und miteinander verbunden sind. Dass es nur ‚uns’ oder ‚sie’ gibt.“

Ich würde Metropolis gerne vergessen, aber leider sehe ich immer wieder die Notwendigkeit, ihn zu sehen.

Jeff Mills

Der Film erinnere eindringlich an die Gefahren, die entstehen, wenn Menschen nur auf sich selbst bedacht sind und keine Rücksicht auf andere nehmen. „Ich würde diesen Film gerne vergessen, aber leider sehe ich immer wieder die Notwendigkeit, ihn zu sehen. Noch immer, fast 100 Jahre nach seinem Erscheinen im Jahr 1927, stellen wir uns dieselben Fragen über uns selbst.“

Diese Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen, Verantwortung und dem Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft zieht sich wie ein roter Faden durch Mills’ Werk. Und sie endet auch nicht bei der Musik. Sein Stil hört nicht an den Reglern auf. Mills ist bekannt für seinen makellosen Look, seine Vorliebe für Schneiderkunst. Dior ließ ihn den Soundtrack zu einer Modenschau produzieren – mitten vor den Pyramiden von Gizeh. Und vor kurzem war er das Gesicht für eine Werbekampagne von Jil Sander.

Eine Frage des Stils

Die Vorliebe für Mode gehe auf seine Jugend in Detroit zurück, einer „Stadt langer und lebendiger Geschichte von Geselligkeit“. „Ich wurde also dazu erzogen, mir immer Gedanken darüber zu machen, wohin ich gehe und mit wem ich zusammen sein werde.“ Mit anderen Worten: „In meinem Haushalt gab es immer diese Tradition, sich bewusst zu präsentieren. Wir repräsentieren unsere Familie, unsere Gemeinde, unsere Stadt, unser Land.“ 

Es gehe nicht so sehr um Mode, sondern vielmehr darum, die bestmögliche Person zu sein. „Denn sie ist eine Erweiterung meiner Herkunft. Kleidung ist nur ein Teil davon, aber eigentlich ist es eine Denkweise. Wo ich herkomme, ist es die bestmögliche Art, würdevoll zu sein.“

Tipp: Jeff Mills tritt mit Jean-Phi Dary und Prabhu Eduardo mit „Tomorrow Comes The Harvest“ am Sonntag, 11. Mai, um 18 Uhr im Klangraum Krems Minoritenkirche im Rahmen des Donaufestivals auf. donaufestival.at

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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