Comic-Held Spirou

Zeichner Schwartz über Comic-Held Spirou: Die Fallen des Humors

Spirou und Fantasio-Zeichner Olivier Schwartz über Erfolgsdruck, den Rassismus-Skandal und das Thema Sex.

Er ist ein jugendlicher Rotschopf, mit neugierigen Augen und einem verschmitzt frechen Lächeln im Bubigesicht – und doch älter als Superman. Ganze zwei Monate früher als der stahlharte Blaumann erblickte der Comic-Held Spirou die Welt beziehungsweise das Titelblatt des belgischen Magazins Journal de Spirou, als dessen Maskottchen er anfangs bloß gedacht war – am 21. April 1938. 

Mit über 80 Lenzen und nach mehr als 70 Alben (samt Sondereditionen) wäre Spirou heute ein Greis. De facto bleibt er aber ein ewiger Jungspund – stets flinken Fußes, in die rote Uniform eines Hotelpagen gesteckt und verstrickt in fantasievolle Abenteuer rund um den Globus, die Zeitmaschinen, Riesenroboter oder zwielichtige Geheimdienstorganisationen beinhalten. 

Natürlich auch im neuesten Album der Reihe: "Das Gedächtnis der Zukunft" von Sophie Guerrive und Benjamin Abitan, gezeichnet von Olivier Schwartz.

Spirou und Fantasio

Spirou und Fantasio

Spirou und Fantasio Band 55: „Das Gedächtnis der Zukunft“. Von Sophie Guerrive, Benjamin Abitan, illustriert von Olivier Schwartz. Carlsen Comcis, 64 Seiten, 12,40 € 

Trio Infernal

Es ist das 55. reguläre Album eines Klassikers. "Spirou und Fantasio" zählen zu den großen Helden der Comic-Historie wie "Tim und Struppi". Wechselnde Zeichner erzählten ihre Geschicke, veröffentlicht von Spanien über Finnland bis in der USA, und sogar in Japan und Vietnam. Erfunden hat Spirou (bedeutet im Wallonischen "Lausbub") der Zeichner Rob-Vel, der selbst einmal als Hotelpage arbeitete, im Nobelschuppen Ritz-Carlton in London. Spirou machte er mit einem charmanten Kunstgriff lebendig: 

Weil das Brüsseler Hotel Moustic (Hotel Mücke) einen Pagen sucht – "jung, aufgeschlossen, gute Manieren, pfiffig, agil" – lässt Rob-Vel sich im Comic selbst auftreten, malt Spirou, besprenkelt ihn mit einem Lebenselixier und schon entsteigt der Held der Leinwand.

1943 stellte Jijé ihm dann seinen besten Freund Fantasio zur Seite. Anfangs ein freigeistiger Snob avanciert der zum rasenden Reporter, seine Aufträge führen das Du nach China, Afrika, Tokio oder New York – nach Palumbien oder ins "Tal der Verdammten". Stets dabei: Pips, das Eichkatzerl.

Genialer André Franquin

Zu einem Höhepunkt der Comic-Literatur hat Spirou aber er gemacht: Es war das Genie des Belgiers André Franquin, der der Figur jenes Leben einhauchte, das sie bis heute so beliebt macht. Zu Recht gilt der frankophone Belgier längst als Übervater der Serie. Franquin steht mit seiner Kunst in einer Reihe mit Größen wie Hergé ("Tim und Struppi"), Morris ("Lucky Luke") oder Goscinny ("Asterix")

Sein Zeichenstil gehört zur von Jijé initiierten École Marcinelle: drastisch, dynamisch, karikaturistisch – ein aufgeweckter Gegenentwurf zur Ligne Claire, die von Hergé und dem Magazin Tintin geprägt wurde und die mit strengen Konturen und flächigen Farben aufwartet. 

Und: Franquin – der auch den superchaotischen Büroboten "Gaston" schuf – führte bedeutende Nebenfiguren ein wie Graf von Rummelsdorf, den Schurken Zantafio oder den durchgeknallten Wissenschaftler Zyklotrop. Die berühmteste ist jedoch das Marsupilami

Ein Fantasietier mit gelbem, schwarz geflecktem Fell aus dem Dschungel von Palumbien. Selten, mit anarchistischen Zügen und einem acht Meter langen Schwanz, den es zusammenrollen kann und der zum Leid seiner Gegner unvorstellbare Schlagkraft besitzt.

Spirou-Zeichner Olivier Schwartz und der Humor: „Man muss vorsichtig sein“

©Chloé Vollmer Lo.

Alte Fans und neue Leser

Olivier Schwartz liebt die Kunst von Franquin. "Von Anfang an gab es keine zeichnerischen Fehler, dazu überall Poesie", schwärmt er. Gerade kommt er von der Buchmesse Brüssel, als wir ihn erreichen. "Ich mag seinen frühen Strich sehr, wenn er seine Liebe zu den damaligen amerikanischen Zeichentrickfilmen und zu Hergé bezeugt. Er ist die Seele von Spirou und Fantasio und mein Vorbild." Dass Schwartz so denkt, ist ein Glücksfall – er ist nämlich der Zeichner des neuen Spirou-Albums.

Neues Abenteuer von Spirou und Fantasio: "Das Gedächtnis der Zukunft". Mit dabei: selbstverständlich das Wundertier Marsupilami

©carlsen verlag gmbh, hamburg 2025

Nach sieben Jahren ohne neues Abenteuer übernahm er 2022 die Illustration. Vor ihm lag ein Balanceakt: Einerseits galt es, die Leser, die mit Spirou aufgewachsen sind, nicht zu verlieren, andererseits neue, junge Leser zu gewinnen. "Das ist nicht einfach", so Schwartz. "Man weiß ja, dass junge Leute, wenn sie noch lesen, eher von Mangas angezogen werden."

Die Konklusio war ein kluger Schritt: mit Guerrive und Abitan zwei Autoren, die die Sprache der Jugend beherrschen. Und mit ihm einen Zeichner für Liebhaber franko-belgischer Comics. Was die Reihe so erfolgreich macht? "Die Geschichten regen noch immer zum Träumen an", erklärt Schwartz, "eine subtile Mischung aus Humor, Abenteuer und Poesie, die allesamt immer wieder in die heutige Welt übertragen werden." Gleichzeitig beleben neue Autoren die Serie ständig neu.

Wobei: Die Fortsetzung von Klassikern kann gehörig Staub aufwirbeln. Er habe bei der Übernahme zwar relativ wenig Druck gespürt, so Schwartz, immerhin hatte er schon drei Sonderausgaben verantwortet, war mit den Erwartungen der Leser vertraut. 

"Der Ärger", so Schwartz, "geht meistens von den Erben, Rechteinhabern und Autoren berühmter Figuren aus." Überempfindlich seien die, so Schwartz. Bei Spirou sei das anders: "Der Held und sein Universum gehören dem Verlag – es gibt also keinen Streit über irgendeinen moralischen Schaden, der entstanden sein könnte."

Angriff der Gigantin Marilyn: Szene aus dem neuen Abenteuer

©carlsen verlag gmbh, hamburg 2025

Skandale bei Gaston & Spirou

Siehe vergangenes Jahr. In Frankreich ist "Gaston" ein kleines Kulturheiligtum, nur "Asterix" hat mehr Erfolg. Nach 27 Jahren wollte der Verlag eine Fortsetzung, die Startauflage betrug 1,2 Millionen Stück. Dann beharrte André Franquins Tochter darauf, dass ihr Vater es sich verbeten hatte, dass andere seinen Gaston zeichnen und klagte. Der Verkauf wurde gestoppt – bis man sich außergerichtlich doch einigte.

Flinken Fußes: der klassische Spirou, in der Uniform des Hotel-Pagen

©dupuis,2013/vehlmann/yoann

Ebenfalls 2024 ereilte ein Rassismus-Skandal die Spirou-Reihe. Der Band "Spirou und die blaue Gorgone" von Dany und Yann (beide ältere Herren) wurde aus dem Verkehr gezogen, wegen der Art, wie Schwarze und Frauen dargestellt waren: erstere mit Wulstlippen, zweitere heftig übersexualisiert. Die Zeiten haben sich geändert, auch im Comic. Ob Olivier Schwartz seit dem Vorfall mehr aufpasst, wie er zeichnet? 

"Ich habe immer auf dieses Problem geachtet", sagt er. "Wenn man auf humorvolle Weise zeichnet, sind die Figuren zwangsläufig Karikaturen. Man muss dann vorsichtig sein und wissen, dass die Karikatur schnell wie eine Anklage, ein Spott aussehen kann." Die Konsequenz, die der Zeichner zieht: "Ein Mindestmaß an Feingefühl ist erforderlich. Aber wir alle können irgendwann zum Gegenstand von Kritik werden, da die Sensibilität des Publikums sich weiterentwickelt."

Die Zutaten für eine gelungene Story für ihn: "Spirou und Fantasio, das ist Krimi, Komödie, Fantasy, Freundschaft, ein Happy End: Man muss es nur gut mischen und vor allem zeichnen, und schon ist es fertig", so Schwartz. Was undenkbar ist? "Ich würde davon abraten, ultrabrutale Gewalt vorkommen zu lassen. Ebenso wie Sex, natürlich …" Da bleiben Spirou und Fantasio dann doch lieber im Reich der Fantasie – und dem der Unschuld.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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