Françoise Gilot: Die Künstlerin, die nie "Picassos Muse" war
Die Künstlerin, die nun mit 101 verstarb, war Ahnfigur für die kritische Rezeption Picassos und der Männerdominanz im Kunstbetrieb
„Keine Frau verlässt einen Mann wie mich!“, brüllte Picasso. Françoise Gilot tat es doch: Mit ihren beiden Kindern Paloma und Claude verließ sie im September 1953 das gemeinsame Haus in Vallauris in Südfrankreich. Das größte männliche Künstlergenie des 20. Jahrhunderts setzte ein „Merde!“ („Scheiße!“) nach.
Françoise Gilot wagte es nicht nur, den scheinbar über allen Dingen schwebenden Pablo Picasso sitzen zu lassen – sie schrieb auch detailliert darüber. Ihr Buch „Leben mit Picasso“, dessen Veröffentlichung in Frankreich 1965 vom Künstler mit allen juristischen Anstrengungen – erfolglos – bekämpft wurde, legte den Grundstein für jene kritische Auseinandersetzung mit Picasso, die nicht zuletzt den Diskurs im heurigen Gedenkjahr zu dessen 50. Todestag bestimmt.
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Ahnfigur der Picasso-Kritik
Und mehr noch: Die Abrechnung mit dem Geniekult und der Männerdominanz im gesamten Kunstbetrieb hat in Françoise Gilot eine zentrale Ahnfigur. Dass Meldungen, die nun das Ableben der über Jahrzehnte als Künstlerin und Autorin erfolgreichen Gilot im Alter von 101 Jahren vermeldeten, wieder das Klischee der „Picasso-Muse“ hervorholten, ist eigentlich beschämend.
Zweifellos befand sich die im November 1921 in Neuilly-sur-Seine geborene Künstlerin, die zeitlebens mehr als 1500 Gemälde und 5000 Zeichnungen schuf, im Banne Picassos, als sie diesem 1943 im Restaurant „Le Catalan“ in Paris begegnete – sie damals 21, er 61. Doch die künstlerischen Einflüsse Gilots reichten eben darüber hinaus: Sie setzte sich etwa intensiv mit der Arbeit von Henri Matisse, dem Erzrivalen des Spaniers, auseinander. Dem Werk von Georges Braque konnte sie noch etwas abgewinnen, als Picasso den Künstlerfreund, mit dem er gemeinsam den Kubismus erfunden hatte, praktisch am Wegesrand liegen gelassen hatte.
Picasso schätzte wohl die Brillanz Gilots, konnte sie aber nicht als deren eigene Leistung anerkennen. Wie Rose-Maria Gropp in ihrem höchst lesenswerten Buch „Göttinnen und Fußabstreifer“ (siehe unten) erzählt, führte Picasso Françoise Gilot im Jahr 1946 seiner damaligen Noch-Partnerin Dora Maar regelrecht vor: „Ist sie nicht herrlich? Diese Intelligenz! Da habe ich wirklich jemanden entdeckt, nicht wahr?“ sagte er zu Maar.
Gilots Memoiren führten zahlreiche weitere Belege für die Lust Picassos an der Erniedrigung von Frauen in seinem Umfeld aus – bis hin zu einer Begebenheit, bei der der Künstler eine brennende Zigarette an Gilots Wange hielt. „Er hatte wohl erwartet, dass ich zurückzucken würde, doch ich war entschlossen, ihm diese Genugtuung nicht zu verschaffen“, notierte sie dazu.
Buchtipp: "Die Frauen und Picasso"
Rose-Maria Gropp: „Göttinnen und Fußabstreifer – die Frauen und Picasso“
Piper Verlag. 288 Seiten. 25,50 Euro
Bruch und Neuanfang
Gilot verbrachte nach dem Bruch mit Picasso viel Zeit auf Reisen, mit dem Arzt Jonathan Salk, den sie 1970 heiratete, ließ sie sich in Kalifornien nieder. Nach Salks Tod 1995 lebte sie großteils in New York, wo sie am Dienstag schließlich verstarb.
Ihre Bilder – Werke zwischen Abstraktion und Figuration, in denen Naturerfahrungen und Symbole ebenso wie Familienthemen eine Rolle spielen – sind ebenso eigenständige Beiträge zur Kunst des 20. Jahrhunderts wie ihre Bücher, etwa über „Maler und Maske“ oder die Beziehung von Picasso und Matisse. Sie müssen jedoch noch immer aus dem übergroßen Schatten hervortreten, den der Spanier warf.
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