Filmkritik zu "The Card Counter“: Pokern um Schuld und Sühne
Oscar Isaac als Spieler, der Vergebung für ein Kriegsverbrechen in Paul Schraders magnetischem Noir-Drama sucht
Seit seinem Drehbuch zu Martin Scorseses auratischem Neo-Noir „Taxi Driver“ hat sich Paul Schrader unmissverständlich in die Filmgeschichte eingeschrieben. Einsame, gebrochene Typen wie Vietnam-Veteran Travis Bickle, getrieben von Schuld, zählen zu seinem Markenzeichen von Männlichkeit. Echos von „Taxi Driver“ finden sich auch in Schraders hypnotischem Spieler-Drama „The Card Counter“, in dem Oscar Isaac mit dem bezeichnendem Namen William Tell schlafwandlerisch durch Casinos tingelt.
Knapp zehn Jahre hat Tell im Gefängnis verbracht und – wie er uns aus dem Off erzählt: „Ich habe mich gut fürs Gefängnis geeignet.“
In der Strafanstalt übte Tell einen genialen Kartenzählertrick ein, mit dem er nun seine kleinen, aber feinen Profite bei Poker und Black Jack einheimst. Dass der unauffällige Typ im grauen Anzug ein Trauma abarbeitet, bleibt allerdings unübersehbar. Wann immer Tell in eines seiner billigen Motels eincheckt, umwickelt er zuerst mit weißen Leintüchern das gesamte Mobiliar. Sein Zimmer sieht aus, als hätte Verpackungskünstler Christo darin übernachtet.
Schrader ist ein Meister darin, den muffigen, licht- und luftlosen Pseudo-Glamour schäbiger Casinohallen mit seinen gleitenden Kamerabewegungen zu umspielen.
Schlecht angezogene Menschen sitzen in niedrigen Räumen mit braungrünen Spannteppichen an überfüllten Spieltischen. William Tell aber bewegt sich wie ein Fisch im Wasser, macht sein Spiel und taucht wieder ab.
Foltergefängnis
Bis er in einem der Hotelhallen in eine Veranstaltung gerät, wo ein gewisser Major John Gordo – gespielt von Willem Dafoe, der aussieht wie ein zweitklassiger Pornodarsteller – Vorträge über Sicherheitssysteme hält.
In dem Augenblick erkennt Tell seinen ehemaligen Vorgesetzten wieder, der ihm damals im Gefängnis von Abu-Ghuraib Anweisungen zum Foltern der Gefangenen erteilt hatte. Während Tell noch das Wiedererkennen verarbeitet, wird er von einem Burschen namens Cirk angesprochen.
Cirk ist der Sohn eines Soldaten, der ebenfalls von Gordo zum Foltern angeleitet wurde und später Selbstmord beging. Cirk will sich an Gordo rächen und möchte Tell an seinem Racheakt beteiligen.
In einer beispiellosen Sequenz, gedreht mit einem aufgerissenen Kameraauge im Weitwinkel, rekapituliert Schrader die Hölle von Abu-Ghuraib, die Demütigungen der Gefangenen und die perverse Lust der Soldaten am Erniedrigen und Quälen.
Um mit den schrecklichen Erinnerungsbildern und seiner eigenen Rolle darin fertig zu werden, sucht Tell die beruhigenden Routinen des Glücksspiels und die Anonymität seiner weiß eingepackten Hotelzimmer. In der Begegnung mit dem jungen Burschen sieht er seine Chance zur Sühne. Tell nimmt das Angebot einer jungen Frau an – lebhaft gespielt von Tiffany Haddish –, für größere Geldsummen als üblich zu spielen.
Schrader interessiert sich für Schuld und die Sehnsucht nach Vergebung und Erlösung. „The Card Counter“ wirkt nicht ganz so dringlich wie sein Umweltkatastrophenfilm „First Reformed“. Doch auch diesmal ist sein Einsatz hoch genug, um mit maximalem Magnetismus zu erzählen, was auf dem Spiel steht.
INFO: USA 2021. 111 Min. Von Paul Schrader. Mit Oscar Isaac, Tiffany Haddish, Willem Dafoe.
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