Doron Rabinovici: Ein Fotograf, ein Politiker – und „Die Einstellung“
Die Brandredner, die lügen, sind immer im Vorteil
Ob man primitiven, schimpfenden, spaltenden Politikern zu viel Raum gibt in den Medien?
Auch wenn man sie dabei scharf kritisiert: Es ist immer Werbung, die Fotos der Brandredner, Demagogen, Lügner – sind immer auch Reklametafeln.
Und wenn ihnen Journalisten zu nahe kommen? Wenn sie feststellen: Diese Unmenschen sind ja privat ganz anders, richtig nett und kultiviert ... was dann?
Doron Rabinovici, der Wiener Historiker und Schriftsteller, hat mit „Die Einstellung“ vermeintlich leichte Kost geschrieben. Sein Rezept für harten Stoff.
Unaufgeregt und deshalb eindringlich ist sein Roman. Schnell zu lesen. Manches wird stark vereinfacht, doch es geht eine Tiefe aus, und länger wird’s deshalb im Gedächtnis bleiben.
Unmaskiert
Das wahre Gesicht:
(Rabinovici hat sich von fünf bekannten Wiener Fotografen – Beck, Newald, Corn, Cremer, Shaked – beraten lassen.)
August Becker ist dafür berühmt, dass er mit dem Fotoapparat aufspürt, was einen Menschen ausmacht.
Auf Wahlveranstaltungen fotografiert er Ulli Popp, der verkündet: „Sie kommen von überall. Die haben bei uns nicht zu sein. Wir müssen durchgreifen. Straße um Straße. Haus um Haus.“
An der Hotelbar trifft Becker zufällig den Politiker – der sich als Sammler von Fotografien und Fan von Becker vorstellt.
Rabinovici fällt bei Ulli Popp (und denen, die mit Popp gemeint sind) die Philosophin Hannah Arendt ein: dass dem Verstand die Lügen häufig einleuchtender und anziehender als die Wahrheit erscheinen, „weil der Lügner den Vorteil hat, im Voraus zu wissen, was das Publikum zu hören wünscht.“
Als der Politiker, den Hammer in der Hand, ein Fass anzapft, hat Becker DAS Foto: Hass im Hochformat. Das Gesicht eines Totschlägers. Aber die Zeitung will es nicht abdrucken. Sie nimmt lieber ein„Schönbild“.
Da schenkt Becker, zornig und betrunken, das Bild dem Fotografierten – er soll damit machen was er will.
Der Politiker revanchiert sich. Viel Geld überweist er. Das ist August Becker zwar überhaupt nicht recht, kotzen könnte er, aber die hohen Studiengebühren seines Sohnes sind zu zahlen.
Was Popp dann mit dem Foto anstellt: Hier wird man’s nicht lesen. Es gibt Unvorhersehbares. Die Handlung twistet. Wer der Verlierer ist? Wer weiß das.
Weil Doron Rabinovici etwas zu sagen hat – manchmal überdeutlich –, wird Augusts Sohn dem Vater ins Gewissen reden: Der Junior will sich nicht nur Bilder machen von der Welt, sondern sie mitgestalten. Er will nicht mit der Kamera festhalten, wer Ulli Popp ist, sondern ihm etwas entgegensetzen.
„Schmeckt dir der Thunfischsalat?“ lenkt August Becker ab. Aber er hat kapiert.
Doron Rabinovici: „Die Einstellung“
Suhrkamp Verlag.
224 Seiten.
24,95 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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