Dominique Horwitz

Dominique Horwitz: „Meine Spezialität ist gerettet zu werden“

In der Wiener Volksoper gibt der Schauspieler und Sänger ab 23. Februar im Musical Anatevka den Milchmann Tevje. Ein Gespräch über Wunschrollen und über Sachen, in denen er nicht gut ist.

Es ist eines der erfolgreichsten Musicals der Welt. Mit „Wenn ich einmal reich wär“ hat Anatevka dazu einen Überdrüber-Ohrwurm. Dabei ist der Inhalt ernst. Im jüdischen Schtetl Anatevka lebt der Milchmann Tevje mit seiner Familie. Die Heiratspläne der Töchter stellen das Traditionsbewusstsein des Vaters auf die Probe. Und dann bricht auch noch ein Pogrom über den Ort herein. Mit Dominique Horwitz übernimmt ab 23. Februar ein bekanntes Theater-, Film- und Fernsehgesicht die Rolle des Tevje in der Wiener Volksoper.

Der deutsch-französische Künstler ist 65 Jahre alt und seit 46 Jahren im Geschäft. Das merkt man dem Schauspieler, Chansonnier, Regisseur und Autor an. Er posiert beim Fotografieren wie auf Knopfdruck, auch wenn man ihm anmerkt, dass es nicht seine Lieblingstätigkeit ist. Beim Interview ist er durchaus launig.

War der Tevje eine Rolle, die Sie immer schon spielen wollten?
Dominique Horwitz: Ich habe mir niemals Rollen ersehnt. Die Ausnahme: zwei Figuren, die ich unbedingt spielen wollte, nur zwei. Erst Cyrano von Bergerac, und dann Tevje. Wenn die Premiere wie geplant stattfindet, werde ich beide gespielt haben.
Sie nehmen, was kommt?
Die Projekte kommen tatsächlich auf einen zu. Ich habe immer alles, was mir widerfährt, als Angebot vom Leben aufgefasst. Man greift zu oder lässt es sein. Aber wenn man zugreift, sollte man etwas daraus machen.
Volksoperndirektorin Lotte de Beer hörte Sie in ihrem Jacques-Brel-Programm singen und wollte Sie als Tevje. Was fasziniert Sie an Brel, dessen Stücke Sie schon jahrzehntelang singen?
Er ist nicht nur einzigartig. Er ist in der großen Familie der Liedermacher für mich eindeutig der größte. Niemand hat je in einem Lied soviel Theatralisches auf die Bühne gebracht wie er. Mit „theatralisch“ meine ich Dramen, große Gefühle. Brel darf man nicht singen, Brel muss man spielen.
 
Sie singen auch Serge Gainsbourg. Gibt es Ihrer Meinung nach Sänger im deutschsprachigen Raum, die Sie auch nur ansatzweise so faszinieren?
Was beide gemeinsam haben, ist der eigene Zugang zur Sprache der Musik und zur Poesie. Der Einzige, der mir in Deutschland einfällt, ist Herbert Grönemeyer. Er strahlt etwas Authentisches aus. Die Franzosen haben Gainsbourg und Brel geliebt, nicht nur weil sie große Künstler waren, sondern auch weil sie wahrhaftig waren. Die Deutschen lieben Grönemeyer wegen seiner Songs, aber auch weil er Grönemeyer ist.

Horwitz wollte eigentlich Kaufmann werden. Doch seit 46 Jahren ist er Schauspieler.

©Kurier/Gilbert Novy
Neben dem Schauspielen und Singen schreiben Sie Romane. Sie waren Theaterdirektor. Gibt es etwas, das Sie gar nicht können?
Ja, organisieren. Alles, was mit Planung und Logistik zu tun hat, ist mir ein Gräuel. Ich verabscheue es, mich zu organisieren. Dieses Interview findet nur deshalb statt, weil mich der Regieassistent kurz zuvor daran erinnert hat. Und ich sagte: natürlich, klar doch. Hätte er mich nicht darauf hingewiesen, wäre ich nach Hause gegangen. Ich habe den Termin sogar in meinem Smartphone eingetragen. Aber ich gehe aus der Probe heraus und mache das Gerät nicht an. Meine Spezialität ist, wie Sie sehen, gerettet zu werden.
Haben Sie dadurch schon einmal etwas Wichtiges verpasst?
Nein, niemals. Ich habe ein unverdientes Glück. Eigentlich gehören solche Menschen, die sich gegen Organisation geradezu stemmen, vom Schicksal bestraft. Aber es gibt immer gute, kleine Engel an meiner Seite, die mir einen rettenden Schubs geben. Manchmal bin es sogar ich selbst. Zum Beispiel verabschiede ich mich mit den Worten: Na gut, bis übermorgen! Und dann heißt es: Wieso übermorgen? Wir haben doch morgen Vorstellung. So etwas passiert mir andauernd.
Sie meinten, Sie haben keine Wünsche, was Rollen betrifft. Gibt es auf der anderen Seite Dinge, die Sie niemals machen wollen?
Ich habe hierfür leider nur eine einfache Antwort: Ich habe keine Lust auf Situationen, in denen ich mich unwohl oder benutzt fühle. Situationen, in denen ich mir oder anderen etwas beweisen muss. Ganz einfach gesagt: Ich bin auf der Suche nach allem, was Spaß macht und Freude bringt.
©Kurier/Gilbert Novy
Gibt es Konflikte, gerade weil Sie in so vielen Bereichen tätig sind?  Diskutieren Sie beispielsweise mehr mit dem Regisseur, wenn Sie als Schauspieler tätig sind, weil Sie der Meinung sind, Sie wissen etwas besser?
Ich habe in der Tat sehr viel gemacht. Ich produziere musikalische Abende und bin manchmal Arbeitgeber. Ich bin aber auch Schauspielkollege und Musiker. Hinzukommt, dass ich das Alter von 65 Jahren erreicht habe und seit 46 Jahren diesen Beruf ausübe. Ich habe nicht den Eindruck, dass, wenn ich etwas denke und fühle, ich es unbedingt für mich behalten müsste. Eitlerweise finde ich mich und meine Gedanken zuweilen so interessant, dass ich nicht anders kann: Ich muss sie äußern. Wenn jemand kein Interesse an der Zusammenarbeit mit mir hat, habe ich damit überhaupt kein Problem. Aber wer „Zusammenarbeit“ sagt, sagt auch „zusammen“. Und ich stehe wirklich auf Zusammenarbeit.
Mit Reibung?
Alles, was für das Leben und die Liebe gilt, gilt auch für die Arbeit. Eine Ehe ohne Auseinandersetzung gibt es nicht. Da müssten ja beide unter Drogen stehen. Ich habe nicht nur kein Problem mit Auseinandersetzungen, ich liebe sie geradezu. Ich bin Stier. Ich bin kein Streithammel, aber im konstruktiven Streit habe ich das Gefühl lebendig zu sein.
©Kurier/Gilbert Novy
Sie haben keine Schauspielschule besucht. Wie sind Sie in den Beruf hineingeraten?
Ich entstamme einer Kaufmannsfamilie. Am liebsten wäre ich Kaufmann geworden. Ich besuchte vor 42 Jahren das Deutsch-Französische Gymnasium in Berlin zusammen mit meinem ältesten Freund Christian Berkel (bekannt etwa aus der Kriminalist und Inglourious Basterds). Er war schon mit 17 ausgebildeter Schauspieler und bekam die Hauptrolle in einem Film. Wir hatten schon Jahre zuvor miteinander Schultheater gemacht. Daher hat er mich für eine Rolle empfohlen. Ich habe den Regisseur kennengelernt und eine größere Rolle bekommen. Dann wusste ich, das ist wohl mein Weg.
In Anatevka bricht ein Pogrom über ein jüdisches Dorf herein. Ihre Eltern mussten vor den Nazis nach Frankreich fliehen. Berührt Sie das Musical wegen Ihrer Familiengeschichte besonders? Gehen Sie anders als sonst an die Rolle heran?
Überhaupt nicht. Anatevka ist die Geschichte eines Mannes, der von den Ereignissen überrollt wird. Die Ereignisse könnten in Afghanistan passieren: Sie sind Afghane, Sie arbeiten für die Deutsche Welle als Hilfskoordinator und müssen das Land verlassen. Oder Sie sind Ukrainer, wie in Anatevka. Oder Sie sind in Syrien, und auf einmal stürzt Ihre Welt zusammen. Hinzu kommt, dass im Stück ein unaufhaltsamer gesellschaftlicher Wandel stattfindet. Menschen entscheiden nun selbstständig, mit wem sie leben wollen, wen sie lieben wollen. Das Stück hat so viele Parallelen zur Jetzt-Zeit. Das macht es so modern.
Tevje ist ein Traditionalist, der am Althergebrachten festhält. Gibt es auch bei Ihnen etwas, von dem Sie niemals runtersteigen würden?
Die heutige Welt ist mir natürlich einigermaßen fremd. Ich glaube, damit bin ich in guter Gesellschaft. Die Altvorderen haben über uns auch den Kopf geschüttelt. Ich bewundere meine Kinder, und das Leben, das sie führen, und wie sie es führen. Aber ich bin gerne 65 und höre mit großem Spaß Led Zeppelin.
Gibt es Entwicklungen, die Sie bei den jüngeren Generationen besonders stören?
Viele Dinge stören mich nicht, weil ich sie gar nicht an mich ranlasse. Ich finde es notwendig, dass junge Menschen für das kämpfen, was sie für richtig und wichtig finden. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt ist es nachvollziehbar, wenn man sagt, so sehr ist diese Welt nun nicht mehr meine. Die Welt gehört der Jungend und die hat nun mal immer recht. Punkt. Das ist das, was man sich immer vor Augen führen muss. Ob es einem gefällt oder nicht.
©Kurier/Gilbert Novy
Sie haben einmal gesagt, trotz Ihrer französischen Verwurzelung haben Sie festgestellt, dass Sie Preuße sind. Sie mögen es gerne zackig. Da sind Sie jetzt in der falschen Stadt. In Wien hat man doch die Schludrigkeit zur Folklore erhoben.
Ich habe das immense Glück, dass ich einen Beruf ausübe, in dem man von allen Zeiten flankiert wird. Wie dieses Interview, das ich beinahe vergurkt hätte. Ich weiß, was am nächsten Tag geprobt wird, wann ich eine Maskenprobe habe, das ist mein Alltag. Das ist mein Leben bis zur Premiere am 23. Februar. Dann werde ich Wien besser kennenlernen. Im Moment lebt mir Wien einen rigiden Regimentsalltag vor.
Zur Person

Zur Person

Dominique Horwitz, Schauspieler, Sänger, Autor, Regisseur. Er wurde 1957  in Paris geboren. Seine Eltern waren als deutsche Juden vor dem Nationalsozialismus nach Frankreich geflohen. 1971 kam die Familie nach Deutschland zurück.   Einem größeren Publikum wurde er durch seine Rolle in Joseph Vilsmaiers  Antikriegsfilm Stalingrad  bekannt. Fürs Fernsehen schlüpft er etwa für den Tatort in verschiedene Rollen. Als Sänger ist er mit  Liedern  von Jacques Brel und Serge Gainsbourg unterwegs. 2015 kam der erste Roman „Tod in Weimar“ heraus. Der Künstler ist verheiratet und lebt in Weimar.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er werkt dort seit Dezember 2020 und darf sich mit Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle befassen. Also mit allem, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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