64th Annual Grammy Awards, in Las Vegas

Die nächsten, bitte, bei den Grammys: Junge Stars regieren die Musikwelt

Die Musikbranche blickt starr in die Zukunft, findet dort Olivia Rodrigo, BTS, Jon Batiste und überraschende Vergebung für einen Comedian.

Wer noch den unguten Nachhall der Oscar-Watsche mit sich herumgetragen hat, der war bei den Grammys gut aufgehoben: Die setzten den Misstönen der anderen Preisgala einen gut gelaunten Abend entgegen, der die Macht eines fast schon verloren gegangenen, aber derzeit aus vielerlei Gründen hochwillkommenen Genres feierte, der Popmusik.

Die nämlich setzt all dem beunruhigenden Miesen da draußen ebenso große, aber abgesicherte Gefühle entgegen. Und ja, man bewegt sich emotional lieber in Liebeskummer und Selbstzweifel als in Pandemie und Krieg. Zumindest für die je drei Minuten der Songs auf der Playlist.

Die Musikerin, die man dafür braucht, heißt Olivia Rodrigo.

64th Grammy Awards Show in Las Vegas

Olivia Rodrigo

©REUTERS / MARIO ANZUONI

Die hat zwar weniger Grammys als der große Gewinner des Abends, Jon Batiste (der bekam fünf inklusive den wichtigsten für das „beste Album“, Rodrigo drei). Sie füllt aber – für das Jahr für Jahr nach neuen Stars hungrige Musikbusiness – jenen Platz, von dem man den jungen Star von gestern, Billie Eilish, schon wieder heruntergestoßen hat: Die 18-Jährige gibt der Zielgruppe Nummer 1 – jenen, die ungefähr so alt sind wie sie – eine Stimme.

Diese klingt selbstbewusst-sarkastisch-selbstzweifelnd („Ich bin nicht smart/und kann nicht mal richtig einparken“), angriffig, spöttisch und, wie im großen Hit „Drivers Licence“, gebeutelt von Liebeskummer und anderen Gefühlen, die man kennt.

Sie klingt also nach Jugend, nach Leben, nach postmaterieller Normalität – trotz der Umständ’, die genau das alles gerade schwierig machen.

Britney und Miley lassen grüßen

Noch dazu hat hier wieder ein eingeübter Karriereweg funktioniert – Rodrigo war zuerst Disney-Star („High School Musical“), bevor sie zum Popstar wurde, und das gab es schon etwa bei Britney Spears und Miley Cyrus.

Da spürt man förmlich das wohlige Gefühl der Nostalgie nach besseren Zeiten in den Reihen der Musikproduzenten und Label-Chefs, die sich nun nach schwierigen Jahren (keine Konzerte!) wieder auf dem richtigen Weg wähnen dürfen. Und gleichzeitig ist Rodrigo auch ein Star des Moments: Ihre Karriere hob so richtig ab wegen Downloads auf TikTok.

Neue Stars braucht das Land

Sie wurde also nun Newcomerin des Jahres, und man blickte insgesamt bei der Gala recht stur in die Zukunft (auch die Grammys hatten zuletzt viel Kritik wegen unzeitgemäßer Preise einstecken müssen): Das Business führte die neue Generation an Stars vor, und wer hier nicht ganz am Puls ist, musste sich vielleicht manchmal an die Suchmaschine des Vertrauens wenden, um nachzuschlagen, wer das denn alles ist. Die südkoreanische Geldmaschine BTS trat ebenso auf wie Dua Lipa und Megan Thee Stallion, der Neo-Oscarpreisträger Questlove machte einen Will-Smith-Gag und Doja Cat kam beinahe zu spät zur eigenen Grammy-Übergabe („Kiss Me More“), weil sie am Klo war.

Auch die Chance, ein superprominentes und auch bei den nicht-17-Jährigen bekanntes Duo auszuzeichnen, ließ man verstreichen: Statt Lady Gaga (kennt auch die Mama) und Tony Bennett (95!) bekam Jon Batiste überraschend den wichtigsten Grammy für das Album des Jahres, „We Are“. Batiste ist bisher ein eher amerikanisches Phänomen, und hat auch Billie Eilish oder Kanye West ausgestochen. Manch’ europäischer Hörer wird da erstmal reinhören müssen.

Ukraine

Die Grammys haben auch etwas umgesetzt, das die Oscars nicht zusammenbrachten: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hielt einen beklemmenden Video-Appell und sagte, dass die Musiker in seinem Land nun Uniformen tragen und kämpfen müssten.

©APA/AFP/VALERIE MACON

Und neben weiteren Preisen unter anderem für das Duo Silk Sonic (Bruno Mars und Anderson Paak), für die Foo Fighters und Dream Theater, für Kendrick Lamar und St. Vincent gab es auch eine wirkliche Überraschung, nämlich einen Sühnepreis: Der Comedian Louis C.K. gewann den Grammy für das beste Comedy-Album.

Darauf zu hören ist ein Stand-Up-Abend, in dem er etwas thematisiert, das bei vielen anderen zum endgültigen Karriereende geführt hatte: Louis C.K., in Amerika ein wirklich großer Star, sah sich 2017 mit Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens und Übergriffen konfrontiert. Dass er nun mit Pointen über sein Fehlverhalten in den Grammy-Olymp aufgestiegen ist, läutet eine neue Phase der #MeToo-Bewegung ein.

Es wird niemanden überraschen, dass es über diese Auszeichnung Aufregung auf den Sozialen Medien gab: Diese Watsche war eine, für viele Frauen, emotionale.

Georg Leyrer

Über Georg Leyrer

Seit 2015 Ressortleiter Kultur und Medien, seit 2010 beim KURIER, seit 2001 Kulturjournalist. Zuständig für alles, nichts und die Themen dazwischen: von Kunst über Musik bis hin zur Kulturpolitik. Motto: Das Interessanteste an Kultur ist, wie sie sich verändert.

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