Kunst

Arm und Reich trifft Like und Share im Dom Museum Wien

Die Themenschau „Arm & Reich“ regt zum Nachdenken über Geld, Teilhabe und (Selbst-)Gerechtigkeit an

„Sankt Martin reitet durch die Stadt / Ein Bettler keine Kleidung hat / Sankt Martin teilt den Mantel schnell / Den Bettler damit wärmen will / Auch wir wollen wie Martin sein / und Freude schenken, das ist fein.“

Es ist eine glückliche Fügung, dass das Wiener Dom Museum seine neue Ausstellung „Arm und Reich“ wenige Tage vor jenem Feiertag (11. 11.), in dem viele Menschen, oft konfessionsunabhängig, erstmals mit dem Konzept des Teilens konfrontiert werden: Martin, der die Hälfte seines Mantels abgibt, lässt den Umstand, dass andere Menschen weniger haben, nicht nur an sich herankommen, er lässt der Erkenntnis auch Taten folgen.

Doch bereits das Martins-Bild aus dem 16. Jahrhundert, das am Beginn der Ausstellung hängt, macht deutlich, dass die Sache nicht so einfach ist – da muss sich der gute Mann nämlich zwischen zwei Bettlern entscheiden.

©Museum der schönen Künste Budapest

Das ist fein

Generell stellt sich die Frage, ob das Teilen nicht stets auch einem eitlen Selbstzweck dient: Wo schon im Mittelalter das Seelenheil als Ausgleich für gute Taten winkte, besteht heute die Gelegenheit, sich öffentlich im Lichte der moralischen Selbsterhöhung zu sonnen. In den sozialen Medien reicht da oft schon ein Klick, um die x-te löbliche Initiative zu unterstützen: „Dabei ist die Rede vom Teilen zutiefst verlogen, denn wer im Netz etwas ,sharen’ will, muss nie etwas abgeben“, heißt es dazu treffend in einem aktuellen Essay über die Influencer-Generation (Edition Suhrkamp).

Die Ausstellung des Dommuseums lädt ein, solche Gedankensprünge quer durch die Epochen zu wagen: Wie man es von der Kuratorenschaft von Direktorin Johanna Schwanberg gewohnt ist, wird ein dichtes Nebeneinander von Ansätzen zum Thema geboten, das oft erkenntnisbringenden Funkenflug verursacht.

©Spreegold Collection Berlin/Foto: L. Deinhardstein

Stolperfalle Sozialporno

So gilt es darüber nachzudenken, wem die Darstellung von Armut, aber auch jene von Reichtum letztendlich nützt: Von der Biedermeiermalerei bis zur Fotoserie „Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens“, mit welcher der Richter und Fotograf Hermann Drawe um 1900 durch Volksbildungsanstalten tingelte, sollten Armutsdarstellungen Mitleid und Hilfsbereitschaft erwecken – zugleich bedienten sie aber auch voyeuristische Lust.

©Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary

Das Museum ist sich der Stolperfalle bewusst und holt mit dem brasilianischen Projeto Morrinho sowie mit Arbeiten, die Isa Rosenberger und Thomas Struth gemeinsam mit Armutsbetroffenen realisierten, Gegenperspektiven ins Haus: Darin präsentieren sich etwa wohnungslose Frauen mit Qualitäten, die sie abseits der Armut definieren, und Obdachlose fotografieren Passanten.

Die Darstellung von Reichtum kennt demgegenüber wenig Variantenreichtum: Sie erscheint meist in Form einer Anklage „von unten“ oder in einer zur Selbstherrlichkeit tendierenden Inszenierung. Auch die Macht über das eigene Bild ist offenbar ungleich verteilt.

Einige Werke in der Schau – etwa Lamia Maria Abillamas Serie über die Oberschicht Rios, Paolo Woods’ Bilder chinesischer Neo-Kolonialherren in Nigeria oder Lauren Greenfields Langzeit-Fotoprojekt „Generation Wealth“ – können hier dennoch neue Einblicke eröffnen. Und auch wenn man sich von der Erweiterung seiner Perspektive nichts kaufen kann – bereichernd ist sie doch.

©Lamia Maria Abillama
Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

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