Jeden Sonntag gehen die beiden Schwestern noch im Dunkeln auf Jagd nach Mid-Century-Schätzen: Die Möbel aus der Nachkriegszeit verkaufen sie dann in ihrem Wiener Brockenhaus weiter.

Auf Schatzsuche mit den Vintage-Schwestern

Eine Juristin und eine Kunsthistorikerin haben aus ihrer Leidenschaft ein Geschäft gemacht: Sie verkaufen Mid-Century-Möbel, die sie selbst auf Märkten entdecken.

In Zeiten des Überflusses und der Wegwerfgesellschaft besinnt man sich auf Altbewährtes. Nicht umsonst boomen seit geraumer Zeit Möbel im Mid-Century-Stil – also aus dem mittleren Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Möbel haben klare Linien und Formen, Funktionalität stand bei dem Design der Nachkriegszeit im Mittelpunkt.

Auf der Suche nach Schätzen aus genau dieser Phase ist die 39-jährige Ines Zaunbauer-Jenkins jeden Sonntag gemeinsam mit ihrer älteren Schwester. Während die Vollzeit-Juristin noch in stockfinsterer Nacht bei einem Flohmarkt auf einem Parkplatz am Wienerberg eintrifft, ist Julia Zaunbauer, hauptberuflich Kunsthistorikerin, am Flohmarkt im Gewerbepark Stadlau unterwegs. „Mal sehen, wer heute bessere Sachen findet“, sagt Ines und geht schnellen Schrittes los.

Familiensache

Alte Dinge suchen und finden ist bei den beiden Familiensache. Schon ihre Mutter ging früher mit den Schwestern in der Schweiz ins sogenannte Brockenhaus – einen Laden für Gebrauchtes. Die siebenköpfige österreichische Familie lebte nämlich einige Jahre in der Schweiz, bevor sie nach Wien zurückkehrte.

So verwundert es nicht, dass die beiden vor einigen Monaten das Wiener Brockenhaus gegründet haben. Über den Instagram-Account (@wienerbrockenhaus), die Gebrauchtwaren-Plattform Willhaben und in ihrem Lager im 8. Bezirk verkaufen sie die aufgestöberten Stücke.

Wer nun eine romantische Schatzsuche mit Zeit und Muße erwartet, der irrt. Auf dem Supermarkt-Parkplatz beim Wienerberg geht es um Schnelligkeit und um Verhandlungsgeschick. Links und rechts scannen die Augen von Ines Zaunbauer-Jenkins – fast wie ein Laser – alles ab: Sie nimmt nur Vintage-Möbel wahr, alles andere wird ausgeblendet.

Die Händler sind gerade erst angekommen, parken ein und packen aus. Viele verkaufen direkt aus dem Kofferraum heraus, hängen im Getümmel ihre Ware auf. Die Profi-Käufer leuchten bereits mit Taschenlampen in Sackerl und Kartons. Maximal fünf Sekunden wird hineingeschnuppert, bevor es zum nächsten Stand geht. Jeder will der Erste sein, etwas entdecken.

Kaum eine Minute ist vergangen, schon hat Zaunbauer-Jenkins einen Hocker in der Hand. „Ich gebe dir 20 Euro dafür“, sagt sie. Der Händler ist so überrascht, dass er sofort zusagt, ohne zu zögern. Und schon hat Zaunbauer-Jenkins den roten Flokati-Hocker aus den 50ern unter dem Arm. Am selben Stand entdeckt sie einen Zeitungsständer. „So einen hatten wir noch nie“, sagt sie und schlägt auch hier zu. Ihre Freundlichkeit, gepaart mit Entschlossenheit, hilft bei den blitzschnellen Käufen.

Möbel stöbern

Wiener Brockenhaus
Ausgewählte Mid-Century-Möbel
8., Pfeilgasse 46
Termin auf Anfrage unter:
 0664/99887640 
wienerbrockenhaus.at

Carla (Caritas-Lager)
Gebrauchtes spenden/ kaufen
5., Carla Mittersteig 10
21., Steinheilgasse 3
Montag bis Freitag: 9-18 Uhr, Samstag: 9-13 Uhr, carla-wien.at

Flohmarkt Wienerberg 
Vintage-Möbel,  Kleinkram
10., Wienerbergstraße 27a
Sonntag: 7-13 Uhr
flohmarktwienerberg.com 

Die Glasfabrik
Vintage auf 2.500m²
15., Felberstraße 3
Dienstag: 10-19 Uhr, Mittwoch bis Freitag: 12-19 Uhr, Samstag: 10-17 Uhr
glasfabrik.at

Flohmarkt Gewerbepark
Allerlei – auch Vintage-Möbel
22., Gewerbeparkstraße 13-21
Sonntag: 4 bis 14 Uhr, riesen-flohmarkt.at

Am Parkplatz im 22. Bezirk ärgert sich unterdessen Julia Zaunbauer. Sie ist zehn Minuten zu spät dran. Vieles ist schon weg. Dennoch entdeckt sie einen Kleiderständer aus den 60ern. Sie erkennt das an den verarbeiteten Plastikteilchen. Und sie findet Vintage-Kommoden. „Hier muss man darauf achten, dass sie Beinchen haben“, sagt sie.

Den Begriff Mid-Century soll übrigens eine amerikanische Journalistin erfunden haben, als sie 1983 unter diesem Titel ein Fotobuch über Möbel aus den 50ern publizierte.

Bis zum Sonnenaufgang

Zurück am Parkplatz in Favoriten wird Ines von allen Seiten gegrüßt. Manche haben ihr etwas zur Seite gelegt. Man kennt sie. Bei Händler Sebo Acar stellt sie ihre gekaufte Ware ab. Sie kann nicht alles tragen. „Heute ist ein guter Tag, weil es heiter wird“, sagt sie. Langsam geht die Sonne auf.

Händler Acar hat seine Ware von Entrümpelungen und von Räumungen. „Dort suche ich nach Geld und Gold, den Rest verkaufe ich hier“, sagt er. Pro genutztem Parkplatz zahlt er 30 Euro Standgebühr – er benötigt vier davon. Seine Kunden kennt er: „Ines mag alte Möbel, der Herr da drüben alte Elektronik.“

Noch bevor der Flohmarkt richtig anfängt, sind die Schwestern schon wieder bei ihrem Lager in der Josefstadt angekommen. „Du hast ja eine Leiter gefunden“, sagt eine zur anderen. Aber auch leise Kritik wird laut, als die beiden die Sachen einräumen: „Die Stühle haben abgeschnittene Beine“.

Schon nächste Woche wird das Lager wieder ganz anders aussehen. Die Schätze der Schwestern dürfen nun von anderen entdeckt werden, bevor die beiden nächsten Sonntag wieder auf die Jagd gehen.

Über Nina Oezelt

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