Thalia-Geschäftsführerin: "Tiktok ist das Feuilleton der jungen Leser“

Die Social-Media-App öffnet ein neues Kapitel für den Buchhandel. In der Pandemie ist die Lesefreude gestiegen.

Aus den verstaubten Ecken der Bücherregale schlich sich unlängst ein Werk hervor, das längst als vergessen galt. "Das Lied des Achill“ von Madeline Miller, eine Adaption der "Ilias“ von Homer aus der Sicht von Patroklos erzählt, war bereits 2011 veröffentlicht worden. Zehn Jahre nach seinem ersten Erscheinen erklomm es erneut die ersten Plätze der New-York-Times-Bestsellerliste.

Der Grund für den neuerlichen Hype um den Roman? Die Social-Media-App Tiktok. Der Hashtag #songofachilles wurde dort mehr als 140 Millionen Mal aufgerufen.

"Für uns ist Tiktok das Feuilleton der jungen Leser“, sagt Thalia-Geschäftsführerin Andrea Heumann über die Social-Media-App. Unter dem Hashtag #booktok entstand dort eine riesige junge Community, die in Kurzvideos Rezensionen postet, ihre Buchkäufe zeigt oder die Lieblingslektüre des Monats teilt.

Fantasy statt Krimi

In den Kommentarspalten darunter tauscht sich die Followerschaft wie in einem digitalen Buchklub über Inhalt, Protagonisten und Autorinnen aus. Besonders beliebt sind die Genres Fantasy, New Adult oder Manga. Auch Erotik und historische Fiktion haben an Popularität gewonnen. Große epische Familienromane oder klassische Krimis und Thriller, wie man sie von den Bestsellerlisten kennt, sind für das junge Publikum hingegen weniger Thema, heißt es bei Thalia.

Noch mehr als das Genre steht allerdings der Inhalt klar im Vordergrund, weiß Heumann: "Auch wenn die Tiktok-Welt sehr oberflächlich erscheint, geht es dort doch in erster Linie um Emotionen.“ Ist ein Werk emotional packend, wird es entdeckt. Die kurzen und ebenfalls emotionalen Tiktok-Videos verhelfen dem Buch dann zu einem merklichen Erfolg.

Unwichtig für die jungen Leserinnen und Leser ist dabei, ob das Buch erst kürzlich erschienen ist, oder ob es sich wie bei "Das Lied des Achill“ um einen Backlist-Titel handelt, der schon einige Jahre am Markt verfügbar war und durch aktuelle Themen oder Postings wieder neue Leserinnen und Leser findet.

Gestiegene Lesefreude

Ein wichtiger Grund für den Erfolg von Büchern im Netz ist laut der Thalia-Geschäftsführerin auch die allgemein gestiegene Lesefreude: "Hier haben sicherlich Corona und die diversen Lockdowns die Menschen wieder näher zum Buch gebracht.“ Viele junge Menschen seien über Social Media erstmals mit Büchern in Kontakt gekommen und hätten dort die Lesefreude für sich entdeckt.

Diese Entwicklung bestätigt Scarlett Rothenaicher vom Loewe Verlag: "Wir beobachten einen stetigen Zuwachs der aktiven jungen Lese-Community.“ Sie berichtet von jungen Leserinnen und Lesern, die selbst tätig werden, Bücher empfehlen und sich online über das Lesen austauschen. "Die Interaktion und der Kontakt mit dieser Zielgruppe wird für uns intensiver. Social Media bietet ihnen völlig neue Möglichkeiten, um sich direkt mit Autorinnen und Autoren und Verlagen auszutauschen.“

Den Erfolg nutzen

Der digitale Lesehype verändert die analoge Buchwelt. Der Loewe Verlag kooperiert mit Booktokerinnen und Booktokern, der Handel greift Titel von Social Media auf. Die Buchhandlung Thalia hat stark auf den Ausbau der Bereiche für junge Menschen gesetzt. Neben Fantasy, New Adult und dem klassischen Jugendbuch, wird die Auswahl bei fremdsprachigen Büchern und Manga vertieft. Denn einige der gehyptesten Booktok-Titel (siehe links) waren sowohl in deutscher als auch englischer Version erfolgreich.

Was es sonst braucht, damit ein Buch auf Tiktok triumphiert? "Eine Geschichte, die emotional berührt. Themen, die gerade gesellschaftlich relevant sind“, erklärt Rothenaicher. Und idealerweise eine Prämisse, die man in wenigen Sekunden knackig umreißen kann. Man spüre, wenn eine Autorin oder ein Autor den Nerv der jungen Leserschaft getroffen hat.

Und manchmal ist das eben auch die zehn Jahre alte Geschichte vom Sohn der Meeresgöttin Thetis, dessen Zauber Tiktok nicht widerstehen zu scheinen kann.

Digitaler Buchklub

"Das Lied des Achill“: Die Autorin Madeline Miller wurde für das Buch 2012 mit dem Orange Prize for Fiction ausgezeichnet. Zehn Jahre nach seinem Erscheinen erklomm es erneut die ersten Plätze der New-York-Times-Bestsellerliste

56,1 Milliarden  Aufrufe hat der Hashtag #booktok auf der Social-Media-App Tiktok. Der österreichische Hashtag #booktokaustria schafft es auf 1,4 Millionen Aufrufe

Beliebte Bücher 

  • "Am Ende sterben wir sowieso“  von Adam Silvera, Atrium Verlag
  • "It ends with us“ von Colleen Hoover, Simon & Schuster
  • "Die sieben Männer der Evelyn Hugo“ von Taylor Jenkins Reid, Ullstein Taschenbuch Verlag  
Elisabeth Kröpfl

Über Elisabeth Kröpfl

Seit Dezember 2021 beim KURIER. Zuerst im Ressort Lebensart, jetzt am Newsdesk. Spanisch- und Englischstudium in Graz, danach Journalismus-Master an der FHWien.

Kommentare