Nachhaltige Böden: Anders denken, anders leben, anders gärtnern
Nachhaltig zu handeln ist nicht mehr ausreichend, lautet die These von Buchautor Martin Grassberger. Als neue Vorgabe zur Ökologisierung des Alltags gilt die „Regeneration“.
Von Ingrid Greisenegger
Betrachtet Martin Grassberger die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen, zu denen sich alle Mitgliedsstaaten verpflichtet haben, sticht dem Mediziner, Biologen und Buchautor ein „gravierender Schönheitsfehler“ ins Auge. Es geht um den Begriff des „dauerhaften Wirtschaftswachstums“ – auch wenn sich davor das Adjektiv „nachhaltig“ befindet.
Es genüge nicht mehr, nur den Ist-Zustand zu bewahren, weil die Ressource Umwelt aufgrund mehrheitlich nicht nachhaltig erzeugter Produkte deutlich Schlagseite zeigt und das Ressourcenkonto weitgehend geplündert wurde.
Grassberger, auch diplomierter Umwelt- und Ernährungsmediziner, versucht die Notwendigkeit des Umstiegs auf ein regeneratives Denken und Handeln – also vom quantitativen auf ein qualitatives Wachstum – am Beispiel der Ressource Boden zu erklären.
Die industrialisierte Landwirtschaft hat global zu einem Rückgang der sogenannten „Ökodienstleistungen“ des Bodens geführt. Die vom Menschen bewirkte Beeinträchtigung, bis hin zu deren vollständigem Verlust, verschlechtere jedes Jahr Flächen in der Größe der Schweiz, erklärt Grassberger. Bodenverdichtung, Pestizide, synthetische Düngemittel und auch mechanische Bodenbearbeitung, wie das regelmäßige tiefe Pflügen, wirken letztendlich zerstörerisch, weil auf die symbiotische Beziehung zwischen Pilzen, Bakterien und Wurzeln im Acker keine Rücksicht genommen wird. In der Folge verlange der auf diese Weise nährstoffverarmte Boden nach immer größeren Mengen an mineralischem Kunstdünger. „Für die Pilze und das übrige Bodenleben“, meint Grassberger, „ist das ein Teufelskreis.“
Regenerative Landwirtschaft hingegen geht nach dem Prinzip „wir füttern den Boden, nicht die Pflanze“ vor. Die Erde wird nur oberflächlich gelockert, statt tief mit dem Spaten oder dem Pflug. So gelangt weniger organisches Material an die Luft und es wird weniger freigesetzt, und zwar in beachtlichem Umfang. „Ein geschätztes Viertel des Kohlenstoffs, der seit der industriellen Revolution in die Atmosphäre abgegeben worden ist, stammt vom Pflügen der Felder“. Durch Maßnahmen des regenerativen Landbaus hingegen werde aber nicht nur das Klimagas im Boden versenkt, sondern zugleich auch die Bodenproduktivität erhöht und somit der Ernteertrag.
Zur Erläuterung des Zusammenhangs von Bodenqualität und menschlicher Gesundheit zieht Grassberger neueste Erkenntnisse der Mikrobiomforschung heran. Die Basis gesunder Ernährung sei ein gesundes Bodenleben, weil Pflanzen für die Nährstoffaufnahme auf ihr Wurzelmikrobiom angewiesen sind und das pflanzliche und das menschliche Mikrobiom quasi miteinander verbunden sind – Darm und Wurzelbereich werden von Bakterien bewohnt. Auf eine menschliche Körperzelle kommen etwa 1,3 Bakterienzellen. „Wir müssen also zur Kenntnis nehmen“, erklärt Grassberger, „dass wir zu über 50 Prozent nicht aus menschlichen Zellen bestehen, sondern bakteriell zusammengesetzt sind.“ Wenn wir essen, füttern wir also nicht nur uns, sondern auch die Bakterienflora, die unseren „inneren Garten“ ausmacht. Das heißt, dass Medikamente, Schadstoffe und andere chemische Verbindungen auch Letzteren beeinflussen.
Vor diesem Hintergrund eröffnet sich jetzt ein neuer Zugang zum Gefährdungspotenzial des viel diskutierten Unkrautvertilgungsmittels Glyphosat. Laut Hersteller kann dieses „logischerweise“ gar nicht schädlich sein, weil es nur in den sogenannten Shikimate-Stoffwechsel eingreift, der bei Säugetieren wie auch dem Menschen gar nicht vorkommt. „Da aber sowohl Menschen und Tiere (beispielsweise Insekten) wie auch die Pflanzen ein Mikrobiom besitzen, das jeweils wesentliche Aufgaben übernimmt, und Bakterien bekanntlich den Shikimate-Stoffwechselpfad besitzen“, stellt Grassberger fest, „kommt es zu zahlreichen indirekten, in der Regel negativen Effekten.“ In der behördlichen Risikobewertung wurde das bis dato nicht ausreichend berücksichtigt.
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