Christmas - father and daughter reading book at home

Märchen: Warum faszinieren sie heute noch?

Adventzeit ist Märchenzeit: So alt sie auch sind, so zeitgemäß ist die Tradition, überlieferte Geschichten weiterzuerzählen.

Es war einmal eine Zeit, in der die Menschen kaum mehr ein Auge für ihr Gegenüber hatten. Sie starrten ständig auf ein kleines Gerät in ihrer Hand und verloren über die Botschaften auf dem Bildschirm fast ihren Kontakt zur Umwelt.

Könnte dereinst diese Geschichte über unsere Zeit erzählt werden? Ein sinnstiftendes Märchen aus der Zukunft über unsere Gegenwart? Eine Überlieferung, die künftig einmal den Stellenwert der alten Geschichte von „Hänsel und Gretel“ im dunklen Wald haben wird? Oder von Schneewittchen und ihrer Auseinandersetzung mit der Stiefmutter?

Warum nicht. Märchen sind Erzählungen, die „auf fantasievolle und tiefgründige Weise von all den Problemen und Herausforderungen erzählen, mit denen wir uns alltäglich herumschlagen“, meint Helmut Wittmann aus Grünau im Almtal. Genau deswegen faszinieren sie nach wie vor.

Seit mehr als 30 Jahren übt Wittmann das Märchenerzählen als berufliche Tätigkeit aus. Auf Anraten des österreichischen Unesco-Büros reichte er vor 13 Jahren einen Antrag zur Anerkennung des Märchenerzählens als immaterielles Kulturerbe ein. Bingo! 2010 hat die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur diese heimische, mündliche Tradition als immaterielles Kulturerbe anerkannt.

©Kurier/Jeff Mangione

„Wir haben nach erfolgreicher Aufnahme in das Verzeichnis ein großes Unesco-Fest des Erzählens gefeiert. Das hat dem Aufblühen der Erzähltradition sehr gut getan“, freut er sich nach wie vor über diesen Erfolg.

Felicitas Hoppe, für manche Deutschlands fantastischste Fabuliererin, holt noch weiter aus: „Aller Aufklärung zum Trotz“ verkörpern Märchenfiguren wie Dornröschen oder Aschenputtel „unsere uralten Träume von Selbstoptimierung und Perfektion.“ Und das, „obwohl der tägliche Blick in den Spiegel – (oder auf Instagram, Anm.) – verrät, dass hinter den sieben magischen Bergen immer irgendjemand schöner sein wird als wir“.

Sagengestalten, Superhelden und wir, wer hätte gedacht, dass sie in der Fantasiewelt gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Faszinierend, nicht?

Aktuell von Helmut Wittmann (Hg.), "Das große österreichische Sagenbuch"  mit einem Best-of der Sagensammlungen aus den einzelnen Bundesländern

©Tyrolia

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.

Bernhard Praschl

Über Bernhard Praschl

Bernhard Praschl, geboren 1961 in Linz. Als Stahlstadtkind aufgewachsen zwischen Stadtwerkstatt und Brucknerhaus. 1978 erster Manager der Linzer Punk-Legende Willi Warma. 1979 Studium der Politikwissenschaft und Publizistik an der Uni Wien. Zivildienst im WUK; 1986 Institut für Höhere Studien, Wien. 1989-1992 in der Die Presse, seit 1992 Redakteur im KURIER, 1994 Statist in Richard Linklaters "Before Sunrise", seit 1995 in der FREIZEIT. 2013 "Das kleine ABC des Geldes. Ein Lesebuch für Arm und Reich" (Czernin Verlag). Nach frühen Interrailreisen durch Europa (Portugal bis Irland) und Autofahrten entlang der California State Route und dem Overseas Highway nach Key West jetzt wieder Bahnfahrer - und E-Biker.

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