Mystik, Mopeds und himmlische Drachen: Eine Reise nach Vietnam

Vietnam ist ein Land, an dessen Schönheit man sich nicht satt sehen kann. Und das jetzt zu Recht immer mehr entdeckt wird. Ob mystische Naturkulissen wie in der Halong-Bucht, pulsierende Citys wie in Hanoi, historische Pagoden oder traumhafte Strände: Vietnam fasziniert.

Die Vietnamflagge mit dem gelben Stern auf rotem Grund flattert ungerührt im Wind. Eine mystische Atmosphäre zieht auf, stülpt sich wie ein Glassturz über die Szenerie. Die Luft ist diesig und schmeckt nach Salz. Man muss sich das so vorstellen: Alles, was man aus seiner bisherigen Welt kannte, lässt man spätestens jetzt Meter für Meter, den man in See sticht, hinter sich. Man steht am Bug des Bootes, blickt nach vorn und taucht ein in die geheimnisvolle Weite einer neuen Welt. Die Halong-Bucht. 

Alles ist grün. Das Wasser. Die mit Pflanzen dicht überwucherten Felsriesen, die an einem vorbeigleiten, teils hundert Meter hoch aus dem Meer ragen. Beinahe zweitausend sind es an der Zahl, weiß man offiziell, ein Labyrinth an Insel-Splittern, das sich wie auf einer Decke aus Wasser vor einem ausbreitet, als hätte ein wütendes Kind sein kalksteinernes Spielzeug zertrümmert, worauf es in alle Himmelsrichtungen zersprungen ist. Wie das Naturwunder in Wirklichkeit entstand, ist der Geologie und einem versunkenen Gebirge in der Eiszeit geschuldet, jedoch ist die Legende viel schöner: Ein riesiges Fabelwesen, so heißt es, habe die unbewohnten Meeresfelsen geschaffen. 

Als die junge Nation, angegriffen von den Chinesen, sich verteidigte, kam dem Volk der Viet ein vom Himmel entsandter Drache zu Hilfe: Mit seinem Schwanz schlug er heftig auf das Land, zog mit ihm tiefe Furchen durch den Boden. Die Feinde: vernichtet. Als das Tier darauf ins Meer stieg, flutete der Tauchgang die Erde. Was sichtbar blieb, waren die herausragenden Bergspitzen – letzte karge Zeugen davon, wie die "Bucht des untertauchenden Drachen“ entstanden sein soll.

Gut aufgehoben: die Goldene Brücke, mit riesigen Händen aus Stahl und Fiberglas, liegt 1.500 Meter hoch in Zentralvietnam

©Shutterstock / Hien Phung Thu/Hien Phung Thu/shutterstock.com

An jeder Kreuzung ein Wunder

160 Kilometer und zweieinhalb Autostunden entfernt sieht die Welt völlig anders aus. Von einer mystischen Atmosphäre ist  nichts mehr zu spüren. Statt der Stille versunkener Legenden tobt hier das Leben. An jeder Ecke, jeder Kreuzung, jedem Winkel. Hanoi, das ist, gerade in der Altstadt, ein tumultuöses Zentrum der Anarchie. Auf den Gehsteigen wird gewaschen, Fleisch gehackt, gegessen. Alles dröhnt, blinkt, hupt. Alles klappert, quatscht, quietscht. Und jede Minute ereignet sich an einem anderen Verkehrsknotenpunkt von Neuem ein Wunder: Dutzende Motorräder, beflankt von Fahrrädern, TukTuks, Rollern, zwischen Rikschas und Autos, fahren aus allen Himmelsrichtungen in eine Kreuzung hinein – und kommen, wie von unsichtbarer Hand orchestriert – heil wieder hinaus.

Pralles Leben: In der Hauptstadt Hanoi spielt der Alltag sich bevorzugt auf der Straße ab

©Getty Images/gracethang/istockphoto

Vietnam, das Land der Motorräder. Allein in Hanoi sind es sechs Millionen. Transportiert wird darauf alles: das Baby am Schoß ebenso wie alles andere, das man eben gerade von einem Ort an den nächsten transportieren muss: Säcke bei den Füßen, Blumen im Lenkerkorb, Gepäckberge am Rücksitz. Das Dasein als Fußgänger? Mehr als eine Herausforderung: ein Wagnis, das Todesmut erfordert. Unablässig rollt der Verkehr heran, eine niemals versiegende Quelle der Motorisierung. 

Und dennoch: Man muss von hüben nach drüben. „Das Geheimnis, in Hanoi eine Straße zu überqueren, klingt schwer, ist aber ganz einfach“, sagt mir die gutgesinnte Concierge meines Hotels sanft lächelnd: "Never stop.“ Niemals anhalten, nachdem man den ersten Schritt auf die Straße gewagt hat. Nicht zurückschrecken vor dem, was da auf einen zukommt, egal, was es ist. Immer weiter. Und tatsächlich, es funktioniert. Wie Wassertropfen verteilt sich der Verkehr um einen herum. Am anderen Ende der Straße verkaufen sie T-Shirts mit Galgenhumor. Auf ihnen steht gedruckt: „I survived Hanoi Traffic.“ 

Ich habe überlebt. 

So wie Vietnam schon so viel überlebt hat. Vor allem viele Kriege. Erobert von chinesischen Invasoren, kolonialisiert von Frankreich, bekriegt von den Vereinigten Staaten. Geteilt in zwei Hälften, dem Norden mit Hanoi, der heutigen Hauptstadt, und dem Süden mit Saigon (heute Ho-Chi-Minh-Stadt), ersteres unter kommunistischem Einfluss, zweiteres unter amerikanisch-westlichem. Auch unsere Reise geht von Norden herab nach Süden. Es ist ein Land, dem die Zukunft gehört. Und sich als solches mitten im Wirtschaftsaufschwung befindet: Wer nicht in China produzieren kann oder will, wie Microsoft, Amazon oder Nintendo, verlegt seinen Standort nach Vietnam. Die Wirtschaft wuchs im Vorjahr so stark wie seit zehn Jahren nicht mehr. Nicht ohne Grund besuchte Österreichs Außenminister Anfang des Jahres mit einer riesigen Delegation das Land. Ziel:  die Handelsbeziehungen zu intensivieren. Österreich will mitmischen. 

Zehn Millionen-Metropole: Ho-Chi-Minh-Stadt, das frühere Saigon –  eine Megacity

©Getty Images/Nga Pham/iStockphoto

500 Stufen zum Gipfeldrachen

Doch halt! Schließlich soll das kein Wirtschaftsartikel werden. Und die Wunder der Natur oder der von Menschen geschaffenen Wunder in Vietnam zu bestaunen ist ja auch viel schöner. Die schönste Höhle der Halong-Bucht wurde bereits bestaunt: Die Thien-Cung-Höhle, nicht ohne Grund auch „himmlische Palasthöhle“ genannt. Beeindruckt durchwandert man einen 10.000 Quadratmeter-Irrgarten aus Stalagmiten und Stalaktiten. Indiana-Jones-Feeling! Und jetzt? 

Rein ins Auto und erneut raus aus dem hektischen Hanoi. In der Provinz Ninh Binh liegt zwei Stunden entfernt Hoa Lu, die legendäre alte Hauptstadt und Heimat der beiden ersten Kaiserdynastien Vietnams. Ein Paradies aus Palästen, Pagoden und Pavillons. Und malerisch gelegen inmitten eines Kalksteingebirges. Ideal für einen Ausflug mit dem Rad also, und so flitzt man – einen dieser schicken Reishüte aus Stroh als Schutz vor dem Nieselregen auf dem Kopf – eifrig in die Pedale tretend an wilden Flüssen und saftig-grünen Wiesen entlang: very Vietnam.  

©Grafik

Dabei steht das Highlight noch bevor, wenn auch eines, das uns Fürchten lehrt: Beim Ausflug zu den Mua-Höhlen, die Teil des Landschaftskomplexes Tràng An sind, darf auch der Aufstieg zum Hang-Mua-Aussichtspunkt auf dem Ngoa Long Mountain nicht fehlen. Majestätisch und mächtig ist dieser einzigartige Berg. In seinen anthraziten Fels gehauen sind 500 weiße Kalksteinstufen, die man auf dem sich zum Gipfel schlängelnden Weg erklimmt. Wäre das hier ein Film, dann ein Bond-Film und hier, ganz oben, würde der faszinierende Bösewicht in seinem Hauptquartier thronen. 

Geheimnisvoll: Thien Hau Tempel in Saigon. Faszinierend: die 500 Stufen zum Ngoa Long Mountain

©mauritius images / Alamy Stock Photos / Pavel Szabo/Alamy Stock Photos/Pavel Szabo/mauritius images

Tatsächlich erwartet einen die riesige Skulptur eines liegenden Drachen, wenn man den sich bei der mittleren Plattform teilenden Weg nach links nimmt. Aber weil wir in Vietnam sind, ist er wohl gutartig gesinnt. Zu einem sollte man sich törichterweise allerdings nicht hinreißen lassen: Aus Übermut ungesichert auf dem furchterregenden Drachen herumzuklettern und sich in luftiger Höhe an seinem gezackten Schwanz den Bergkamm entlangzuhangeln. Zu gefährlich! Das kommt davon, wenn man nicht auf Reiseleiterin Rosie hört. Viel lieber sollte man oben angekommen das faszinierende Panorama genießen: Die Reisfelder, die sich in die Ferne strecken und die atemberaubende Aussicht auf die grüne Seele dieses Landes.

Faszinierend: Eine Flussfahrt am Ngo Dong Fluss  beeindruckt mit seiner Naturkulisse (

©Getty Images/iStockphoto/Javier Dall/iStockphoto

Überhaupt ist Trang An in der Ninh-Binh-Provinz ein Ort, an dem man sich nicht satt sehen kann. Ein riesiges Gebiet an Flüssen, Höhlen und Wäldern. Und ein in seiner Schönheit erhabener, friedvoller Ort, den man wandernd oder mit dem Rad erkunden kann. Aber auch direkt am Wasser: den Ngo Dong Fluss mit Holzpaddeln auf einem wackelnden Kleinboot durchrudernd, zwischen kleinen Gebirgen und an mystischen Pagoden vorbei, ist ein Naturerlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Es wundert nicht, dass Trang An für Abenteuerstreifen wie den 2017 entstandenen King-Kong-Film die perfekte Kulisse bot. Und es verwundert ebenso nicht, dass Vietnam als Reiseziel einen Boom erlebt. Zehn Millionen Menschen werden das Land Ende des Jahres voraussichtlich besucht haben. 

Majestätisch: Tor zur ehemaligen Kaiserstadt Hué 

©Shutterstock / Efired/Efired/shutterstock.com

Schwimmender Markt

Zumal es viele Facetten aufbietet, mit seinen eindrucksvollen Reisterrassen, mit Stränden wie etwa auf der Insel Phú Quoc oder der Megacity Saigon. Von verstopften Straßen und Rollern, die auf den Gehsteig ausweichen, darf man sich in dieser rastlosen Zehn-Millionen-Stadt nicht irritieren lassen. Lieber selbst eine Sightseeingtour der etwas anderen Art erleben: Und am Rücksitz eines Mopeds sich von einem Guide die Stadt zeigen lassen und danach etwa den Wiedervereinigungspalast, das historische Hauptpostamt und das Kriegsopfermuseum besuchen. Und sich, erneut, aufs Wasser begeben und Cai Rang besuchen, einen der berühmtesten schwimmenden Märkte im Mekongdelta. 

 

Tipps:

Sightseeing

Halong-Bucht: Unübertroffen schönes Unesco-Weltnaturerbe, spektakuläre Inseln und Grotten, erkundbar mit Boot, Dschunke oder Kajak. visithalongbay.com

Thien Cung Höhle: Riesiges Labyrinth, auch Himmlische Palastgrotte genannt, mit einem Meer an Stalaktiten und Stalagmiten.

Ngoa Long Mountain: Berg in der Ninh-Binh-Provinz. 500 Stufen führen zum Drachen am Gipfel. Kann man ideal mit Besuch der Mua-Höhlen und einer Bootsfahrt am Ngo Dong Fluss verbinden.

Cai Rang: Schwimmender Markt im Mekongdelta. Bei Sonnenaufgang am Boot das handelnde Treiben verfolgen und frühstücken.

Wer ganz früh am Morgen aus Saigon losfährt, kann ihn bei Sonnenaufgang erleben und den Menschen, die auf den Booten leben, beim Aufwachen zusehen. An Deck krähen die Hähne, die Menschen reiben sich den Schlaf aus den Augen, putzen sich über die Reling gebeugt die Zähne – dann wird jene Ware angepriesen, die auch die Spitze der Bambusstange am Bug ausweist, etwa Wassermelonen. Wer kaufen möchte, dockt an. Sogar ein schnelles Boot, das die Möglichkeit Lotterie zu spielen anbietet, gibt es in dieser kleinen Welt. Doch die Attraktivität dieses Lebens schwindet.

Buntes Treiben: Am schwimmenden Markt in Cai Rang im Mekong-Delta wird  mit Lebensmitteln gehandelt

©mauritius images / Alamy Stock Photos / Loc Huynh/Alamy Stock Photos / Loc Huynh/mauritius images

"Die Kinder gehen lieber in eine große Stadt um zu studieren, anstatt hier am Markt Lebensmittel zu verkaufen“, klagt eine Frau in einem prachtvoll buntbesticktem Gewand und mit Reishut auf einem knarrigen Kahn, während sie  eine frische Ananas aufschneidet. Eine Vorspeise für ein klassisches vietnamesisches Frühstück. 

Köstlich: zum Frühstück gibt es Hu Tieu, eine südvietnamesische Nudelsuppe 

©Shutterstock / Cute babe/Cute babe/shutterstock.com

Dazu steuert man ein Schiffchen an, auf dem eine Frau mit lautem Organ flink die vielen Bestellungen der bei ihr anlegenden Bootsgäste entgegennimmt. Und ein Koch in einer winzigen Kajüte alle Arten von Pho, der klassischen Suppe mit Reisnudeln, Fleisch und Koriander, zubereitet. Wir entscheiden uns für Hu Tieu, eine langsam gekochte Schweinefleisch-Nudelsuppe. Starkoch Gordon Ramsey bezeichnete sie nach seiner Reise zum  Mekongdelta in seiner Fernsehshow einmal als das beste Gericht, das er je gegessen hat. Was soll man sagen: Er hatte Recht. 

Tipps

Hotels

Dolce by Wyndham Hanoi Golden Lake: Fünf-Sterne-Haus mit vergoldetem Infinity Pool, drei Restaurants, Blick auf den Giang-Vo-See. dolcehanoigoldenlake.com

The Odys: Schickes Vier-Sterne-Hotel in Ho-Chi-Minh-Stadt mit traditionellen Anklängen wie Zedernholzmöbeln und französischen Wandfliesen. Top-Komfort. theodyshotel.com

Salinda Resort Phu Quoc: Luxuriöses Resort mit tollen Villen inklusive Garten, unaufdringlichem Service, Whirlpool,  Traumstrand. oysterboxhotel.com


Restaurants

Cau Go Restaurant: Authentische Cuisine von Top-Qualität, Hanoi-Küche, aber auch inspiriert von Regionen des ganzen Landes. caugorestaurant.com

Met Vietnamese Restaurant & Vegan: Das Lokal bietet anspruchsvolle vietnamesische Küche mit Ausblick auf die quicklebendige Altstadt von Hanoi. metvietnameserestaurant.com

The Trieu Institute: Restaurant und Bar mit eigenem Gin in Ho-Chi-Minh-Stadt, regional inspiriert, von Mekong bis Sapa. Insta: @thetrieuinstitute

Anreise

Die Austrian Airlines fliegt von Wien mit einem Zwischenstopp in Bangkok nach Hanoi. Die Reisezeit beträgt knapp 16 Stunden. Emirates und Qatar Airways bieten ebenso Flüge an. Auch Ho-Chi-Minh-Stadt im Süden steuern Austrian, Emirates und Qatar an, mit einer Zwischenstation, Flugzeit ist ebenfalls fast 16 Stunden. aua.com /emirates.com/ qatarairways.com

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

Kommentare