Reiseatlas der spanischen Literatur: Wo Don Quijote gegen Windmühlen kämpfte
Anlässlich des Ehrengasts Spanien bei der Frankfurter Buchmesse: Auf den Spuren von Don Quijote & Co zu Schauplätzen spanischer Literatur - von Kastilien bis Katalonien.
Lesen ist Abenteuer im Kopf. Einmal ein Ritter sein! Der schnöden Alltagsexistenz entfliehen, sich aufs Pferd schwingen, einen Speer im Lanzengestell und auf geht’s, wohlan voran ins Abenteuer. Nicht allen reicht das. Miguel de Cervantes hat der Sehnsucht, die Fantasiewelten, in die man sich beim Lesen flüchtet, Wirklichkeit werden zu lassen, Gestalt verliehen – und zwar eine traurige: Als Auslöser von Don Quijotes vermeintlicher Heldenreise gilt der übermäßige Genuss kühner Ritterromane. Das will er auch erleben – und deutet Windmühlen zu Riesen um und Hammelherden zu Heeren. Der Roman gilt als Nationalepos Spaniens. Und passt bestens zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse: Spanien ist Ehrengast, und das Motto, unter dem es geehrt wird, ist: sprühende Kreativität. Das passt zu Don Quijote – und zu Spanien und seiner Literatur.
Die Messe gibt den Blick auf eine vielstimmige Szene frei. Denn ohne seine sprachliche Diversität kann Spanien nicht betrachtet werden. Das Land ist eine parlamentarische Erbmonarchie mit 17 autonomen Gemeinschaften und zwei unabhängigen Städten. Die Mehrsprachigkeit äußert sich auf castellano – Kastilisch meint die Spanische Sprache, sowie Katalanisch, Galicisch oder Baskisch. Sie lädt ein, Meister von Lyrik bis Belletristik zu lesen.
Erzählerisch ist „Don Quijote“ eines der wirkungsmächtigsten Werke der Weltliteratur. Als Hidalgo, also verarmter Landadeliger, zieht unser Held an einem heißen Julitag durch die Hinterpforte seines Hofes hinaus, um die Weiten von Kastilien-La Mancha zu erkunden. „Dulcinea von Toboso ist das schönste Weib auf der Welt, und ich bin der unglücklichste Ritter auf Erden, und es wäre nicht recht, wenn diese Wahrheit durch meine Schwäche eine Einbuße erlitte“, tönt Don Quijote. Im Kampf für diese Wahrheit und um die Angebetete zu erobern stellt er sich den widrigsten Herausforderungen. Und sei es, gegen Riesen zu kämpfen, die in Wirklichkeit Windmühlen sind.
Diese stehen in Campo de Criptana. Oder Consuegra. Oder Mota del Cuervo, wie man’s nimmt. Alle drei Orte beanspruchen die Mühlen für sich. Im Mittelalter standen in Mancha einst hunderte davon in dieser wenig belebten, unendlich flachen Landschaft. Die etwa 50 erhaltenen sind restauriert und Wahrzeichen.
Welche Strecke Don Quijote hinterlegte, darüber wurde heftig gestritten. Sogar die Durchschnittsgeschwindigkeit seines Gauls Rosinante wurde in die Berechnungen einbezogen. Immerhin geht es um Touristenströme, die in die eigene Gemeinde dirigiert werden wollen. Die offizielle Route von 2.000 Kilometern führt Literatur-Fans durch 148 Städte.
Auch durch Toboso, die Heimat der Dulcinea. Reisende können sozusagen ihr Geburtshaus besuchen: jenes der Doña Ana Martínez Zarco de Morales, der Inspiration zu Quijotes Verehrtester. Auch in Toledo, Hauptstadt von Kastilien-La Mancha, wandelt man auf Cervantes’ Spuren. Die Stadt thront 100 Meter auf einem Hügel, umspült vom Fluss Tajo, durchkreuzt von einem Gewirr enger Gässchen mit Kopfsteinpflastern. Hier heiratete der Autor 1584 seine Frau. Sein Wohnhaus ist heute ebenfalls Museum.
Das Madrid von Marías
Ein Museum ist auch ganz Madrid, zumindest für all jene, die Javier Marías lieben. Die Stadt ist der Stoff, aus dem sich in seinen Romanen ein geniales Netz aus beinahe uferlosen Sätzen spinnt. In „Der Gefühlsmensch“ erscheint dem Erzähler „die Stadt so einsam und traurig, wie ich es auf meinen zahlreichen Auslandsreisen selten erlebt habe“ und noch als ein „abscheulicher Ort“.
In „Mein Herz so weiß“ wiederum, das mit dem Selbstmord einer jungen Frau nach ihrer Hochzeit beginnt, und das den Autor zum Literatur-Star machte, erleben wir Marías’ sentimentale Erinnerungen an Madrid – ob er nun über den Arm gehängte „schwarze Taschen, wie sie die Frauen in meiner Kindheit trugen“ schreibt, oder ein Lied, das „viele Jahre lang jeden Morgen in allen Häusern des Madrids meiner Kindheit gesungen“ wurde.
Besonders „Morgen in der Schlacht denk an mich“ ist von Madrid geprägt. Die Straße Calle Conde de la Cimera etwa, in der ein ehebrecherisches Rendezvous mit dem unerwarteten Tod der Geliebten Marta endet. Und Fußballfans besuchen das Bernabéu-Stadion: In „All unsere früheren Schlachten“ frönt Marías seiner ballesterischen Leidenschaft für Real Madrid.
Die Bibliothek von Barcelona
Barcelona, die Hauptstadt von Katalonien, ist hingegen der Mittelpunkt für Carlos Ruiz Zafón. Hier spielt „Der Schatten des Windes“. 15 Millionen Mal hat sich sein Auftakt der Barcelona-Tetralogie verkauft. Doch gibt es den sagenumwobenen Friedhof der Vergessenen Bücher, wo der junge Daniel den Roman eines verschollenen Autors entdeckt, und dieser mit seinem Leben verschmilzt, wirklich? Leider nein. „Ich erschuf Barcelona völlig neu als eine Art Traumwelt“, sagte der Autor einmal.
Man kann sich das Bibliothek-Labyrinth also bloß vorstellen, an einer Stelle bei der Carrer de l'Arc del Teatre bei der Ramblas. Dennoch kann man die Stadt auf den Spuren des Romans erkunden, etwa das Café Els Quatre Gats im Ribera-Viertel besuchen, in dem Daniel dem Versuch widersteht, sein besonderes Buch zu verkaufen. Pablo Picasso zeigte hier übrigens einst seine erste Ausstellung. Auch die Placa Reial, wo der Buchhändler Barceló und seine Tochter wohnen, oder die Santa-Ana-Kirche, kann man sich anschauen.
Ernest Hemingway ist zwar kein Spanier, aber dennoch unerlässlich mit Spanien verbunden: Mit Pamplona, der Hauptstadt der autonomen Provinz Navarra im Norden, verband den Haudegen eine lebenslange Beziehung. Gekennzeichnet wird sie vor allem vom Meisterwerk „Fiesta“ (über die vom ersten Weltkrieg kaputt gemachte „Lost Generation“) und der Encierro, dem Stierlauf im Rahmen der Feierlichkeiten des Sanfermines, bei der die Kampfstiere durch die Gassen in die Arena getrieben werden.
Vor und neben ihnen laufen die Männer in ihrer weißen Kleidung mit den roten Halstüchern, angestachelt sicher auch von Hemingway, der die blutige Hatz zu einer Sache von Tod und Tapferkeit hochstilisierte. Neun Mal nahm er an den Läufen teil. Bei der wegen Tierquälerei umstrittenen Mutprobe verletzen sich jeden Juli Dutzende Männer. Doch auch abseits der Arena gibt es – weniger grausame – Schauwerte: Im Café Iruña, das auch in „Fiesta“ vorkommt, schrieb und trank Hemingway, im Hotel „La Perla“ logierte er im Zimmer Nr. 201. Wer will, kann dort ebenfalls übernachten.
Spanische Literatur hat viele Facetten, ihnen örtlich nachzuspüren, heißt, Land und Leuten näher zu kommen. Auf Teneriffa etwa, um auch eine Neuerscheinung zu nennen, spielt „Der ewige Duft“ von Martin Sabas. Er lässt darin eine Nonne aus dem Sarg heraus von Selbstkasteiung und Liebe erzählen. Die Nonne gab es wirklich: Sie lebte im Kloster Santa Catalina. Einmal im Jahr, an ihrem Geburtstag am 15. Februar, wird ihr Sarkophag geöffnet, um den Gläubigen den aus unerklärlichen Gründen unversehrten Körper von „La Siervita“ (Die Dienerin) zu zeigen.
Wer das Baskenland verstehen möchte, und vor allem seine Verstrickung mit dem Terror der Untergrundorganisation ETA, greift am besten zu „Patria“ von Fernando Aramburu. Es spielt in einem Dorf und handelt von zwei Frauen und damit zwei Familien und ihren Konflikten, deren Geschichte angesichts der politischen Spannungen grausam miteinander verstrickt sind.
Katalonien nähergebracht wird einem durch „Wie ein Stein im Geröll“ von Maria Barbal. Es führt in die archaisch anmutende Welt pyrenäischer Bergdörfer, über die der Spanische Bürgerkrieg und der Anfang der Franco-Diktatur hereinbricht. Die schnörkellose Sprache, von der über das Leben einer einfachen Frau berichtet wird, bilde, so die Kritiker, hier auch treffend die karge Bergwelt ab.
Poesie der Provinz
Antonio Machados Liebe galt der kargen Landschaft Kastiliens. Mit seinem Hauptwerk „Kastilische Landschaften“ ging es dem Lyriker um die Überhöhung der Provinz, schrieb einmal die Neue Zürcher Zeitung, die zur Verkörperung der Seele Spaniens werde, zum Sinnbild menschlicher Existenz und Ort poetischer Selbstbegegnung.
Machados Spanien ist kein spektakulär-sonniges oder bunt ausgestelltes Spanien. Stattdessen ringt der Dichter dem bescheidenen Gebiet mit seinen Plateaus und Feldern in einfacher Sprache seine ganz spezielle Schönheit ab – und damit pure Poesie.
Auch die Extremadura im Westen Spaniens liefert keine Strand-Idyllen. Nichtsdestotrotz ist die Gegend reizvoll, mit ihren endlosen Wiesen und schönen Tälern.
Und sie ist Schauplatz großer Literatur: Vom Leid einer Landarbeiterfamilie in Francos Spanien handelt das Meisterwerk „Die heiligen Narren“ von Miguel Delibes. Ausdrucksstark und klar bleibt er darin – und übersetzt mit seiner Sprache die Landschaft und das bäuerliche Leben in einzigartige Literatur.
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