Eiffelturm in Paris

Mit dem Nachtzug nach Paris: Zu YSL und MC Solaar

Dieser Tage huldigt Paris seinem Modegott Yves Saint Laurent. Als wäre das nicht Grund genug für einen Besuch, gibt’s obendrein eine außergewöhnliche Hip-Hop-Ausstellung in der Philharmonie zu sehen. Nichts wie hin, am besten mit dem neuen Nachtzug

Überblick

Klimafreundliche Anreise 

Nightjet 3 x/Woche von Wien nach Paris, über Sankt-Pölten, Linz, Salzburg. oebb.at 

Währung

Euro

Dem einen mag ein Glas Rotwein vor dem Zubettgehen helfen, der andere fühlt sich möglicherweise durch das sanfte Ruckeln und Zuckeln des Waggons geborgen wie ein Baby und träumt vielleicht vom Orient-Express. Das allerdings, so viel Ehrlichkeit muss sein, ist der Nachtzug nach Paris nicht. Weit und breit kein Samt, kein Teakholz und auch kein Butler. Wobei: Das Personal der ÖBB ist außerordentlich freundlich. Und wer braucht schon Luxus, wenn er stattdessen ein gutes Gewissen haben kann. Und sich außerdem die heute üblichen Flugzores erspart. Seit 13. Dezember kommt man via ÖBB wieder klimafreundlich und sicher über Nacht nach Paris. Und zwar direkt ins Herz der Stadt zum Gare de l’Est. Dass die Fahrt dauert – Abfahrt in Wien ist um 19:40 Uhr, Ankunft in Paris am nächsten Tag um 9:42 Uhr – sollte man positiv sehen: Man ist wirklich ausgeschlafen.

Auf dem Dach der Galeries Lafayette hat man einen traumhaften Ausblick

©barbara beer

Gut so, denn Paris ist eine fordernde Stadt, die viel Aufmerksamkeit verlangt. Im Frühjahr 2022 heißt es hier: Einmal Haute Couture für alle. Sie meinen, das klingt nach H&M, dem schwedischen Mode-Diskonter, für den internationale Designer regelmäßig Kollektionen entwerfen? In Paris geht’s jetzt um etwas anderes als erschwingliche Designermode für die Masse. Wenn dieser Tage ganze Familien in die Pariser Museen strömen, um Mode-Gott Yves Saint Laurent, kurz YSL genannt, zu huldigen, dann geht es um Mode als Teil der nationalen Identität. Die den Franzosen, so pauschal darf man das sagen, bekanntlich nicht ganz unwichtig ist. Mode gehört zur französischen DNA wie das Café – in Paris immer gut besucht, egal, wie schlecht die Wirtschaftslage gerade sein mag. Mode ist ein wesentliches Merkmal der französischen Wirtschafts- und Kulturlandschaft und die Haute Couture, die hohe Schneiderkunst, ein gesetzlich geschützter Begriff. Dass sich kaum jemand die sündteuren Einzelteile leisten kann, ist dabei nichts als ein unwesentliches Detail. Und so ist es kein Wunder, dass Ausstellungen über den Modeschöpfer Yves Saint Laurent nicht nur von Modestudentinnen aus der ganzen Welt (allesamt mit YSL-Logo-Täschchen behängt) gestürmt, sondern tatsächlich auch zum sonntäglichen Familienausflugsziel werden.

Saint Laurents puristisches Sixties-Kleid mit dem strengen geometrischen Arrangement in weiß, rot, gelb und blau, ist hier neben seiner Inspirationsquelle, dem Gemälde von Piet Mondrian  zu sehen.

©barbara beer

Die französische Hauptstadt feiert in diesem Frühjahr das 60-Jahre-Jubiläum der ersten Modeschau des 2008 verstorbenen Designers. Gleich sechs Pariser Museen, von Louvre bis zum Musée Picasso, stehen im Zeichen des 1936 im algerischen Oran geborenen Modemachers, der mit dem Smoking für Damen Geschichte schrieb und sich als erster Modeschöpfer der Welt zu seiner Homosexualität bekannte.

Nackt mit Brille

Dass sich die berühmtesten Museen der Stadt nun YSL verschrieben haben, passt in jeder Hinsicht. Denn er war kunstbesessen wie kein anderer Designer und der erste Modemacher, dem zu Lebzeiten eine Einzelausstellung im New Yorker Metropolitan Museum gewidmet wurde. Nicht nur besaß er mit seinem Mann Pierre Bergé eine beeindruckende Kunstsammlung. Mehr als das war seine Arbeit unmittelbar von Kunst beeinflusst. Die Originalmodelle seiner Haute Couture sind nun vor jenen Gemälden, die sie direkt inspirierten, in den Museen ausgestellt. Im Centre Pompidou etwa trifft man auf Matisse – neben einer rumänischen Bauernbluse, die YSL so gut wie vom Maler übernahm. Auch Saint Laurents puristisches Sixties-Kleid mit dem strengen geometrischen Arrangement in weiß, rot, gelb und blau, ist hier neben seiner Inspirationsquelle, dem Gemälde von Piet Mondrian zu sehen.

Die Originale der YSL- Haute-Couture sind  nun neben  jenen  Gemälden, die sie direkt inspirierten, ausgestellt. Im Bild: Picasso im Centre Pompidou

©barbara beer

Ebenso wie das ikonografische Schwarz-Weiß-Foto, auf dem Saint Laurent nackt mit langem Haar und Brille posiert. Als Einstimmung zur noch bis 15. Mai laufenden YSL-Museums-Offensive (Musée Picasso nur bis 15. April) empfiehlt sich übrigens die Arte-Dokumentation über die letzte Modeschau des Designers, der sich 2002 offiziell aus der Modewelt zurückzog. Die Saint Laurent-Ausstellungen sind allesamt fußläufig in der Pariser Innenstadt erreichbar. Alle sechs werden Sie aber kaum an einem Tag schaffen.

Saint Laurent im Musée D’Orsay: Hier sind auch die berühmten Damensmokings zu sehen  

©Nicolas MATHEUS

Für einen Programmwechsel in eine etwas andere Kunst-Richtung lohnt sich der Umstieg auf die Métro: Mit der Linie 5, Ausstieg Porte de Pantin, erreicht man in wenigen Minuten von der Innenstadt ein Paris, das sich von der noblen City ziemlich abhebt. Hier, am nordöstlichen Stadtrand, liegt das Arbeiterviertel La Villette, dessen ehemalige Schlachthöfe Kurt Tucholsky in seiner Kurzgeschichte „Les Abattoirs“ 1925 beschrieb: „Ein grüngrauer, stumpfer Himmel liegt über La Villette, dem Arbeiterviertel im Nordosten der Stadt. Ein Stückchen Kanal durchschneidet quer die Straßen, von hier fahren die Kähne mit dem Fleisch durch rußige Wiesen.“

Der Kanal, von dem Tucholsky hier berichtet, ist der Canal Saint-Martin, er verbindet den Port de l'Arsenal mit dem Becken von la Villette. Und so trist wie bei Tucholsky ist er längst nicht mehr. Die viereinhalb Kilometer lange Strecke ist heute ein hübscher Spazierweg, geeignet etwa für einen Morgenlauf, der sich angesichts der vielen tollen Restaurants, die in Paris tatsächlich wie die Schwammerln aus dem Boden wachsen, empfiehlt. Doch Nobelgegend ist Vilette auch heute noch nicht. Dass man genau hier mit der Philharmonie den größten Konzertsaal der Stadt gebaut hat, ist erstens wunderbar und zweitens politischer Wille. Die Idee: Nicht nur die betuchten Bildungsbürger sollen wichtige Museen und Konzerthäuser auch von innen kennenlernen. Und zwar zu leistbaren Preisen.

Die interaktive Ausstellung samt Konzertarena 

©barbara beer

Die Rechnung geht auf. Das sieht man an der nun dort stattfindenden, außerordentlich gut besuchten Schau „Hip-Hop 360“, in der es um die vierzigjährige Geschichte des Genres geht, das, ausgehend von den USA, in den 1980er-Jahren eine eigene französische Identität entwickelt hat – und zwar weit über die eingrenzende Einordnung „Jugendkultur“ hinaus. Stars wie MC Solaar kennt man schließlich auch bei uns.

Rap und Graffiti

Die interaktive Ausstellung samt Konzertarena zeigt die Entstehung eines Genres, in dem sich junge Pariser abseits des gehobenen Bildungsbürgertums und der noblen Champagner-Eliten der Innenstadt wiederfinden. Selten sieht man dermaßen viele junge Menschen in einem Museum. Denn selten werden sie, um einen etwas betulichen pädagogischen Ausdruck zu bemühen, tatsächlich so „abgeholt“ in ihrer Lebensrealität. Hier hat man ihren Rap, ihre Graffitis, ihre Mode ins Museum geholt und damit ernst genommen. Das macht Spaß, und zwar auch Menschen, die selbst nur mehr selten umgekehrte Baseballkappen tragen. Auch der Ausstellungsshop ist ziemlich empfehlenswert und bietet ideale Mitbringsel für daheim gebliebene Teenager (Weil: „Paris? Faad!“). Zum Beispiel das tolle „Rapper's Delight Cook Book“, inspiriert von Hip-Hop-Künstlern, in dem sich etwa die „Public Enemiso Soup“ findet.

©barbara beer

Wer mit der Métro wieder zurück in die Innenstadt fährt und im Zentrum bei der Bastille aussteigt, dem sei hier noch ein tatsächlicher Geheimtipp verraten. Gleich um’s Ecke befindet sich mit der Coulée Verte ein urbaner Wanderweg, der auf einer stillgelegten Eisenbahntrasse angelegt wurde. Über zehn Kilometer geht es hier über die Stadtgrenze hinaus, zwischen blühenden Sträuchern, Kletterpflanzen, Teichen und jeder Menge Joggern. Links und rechts mit kleinen Parks samt Sportgeräten versehen, ist die Promenade eine Art Freiluftfitnesscenter inmitten eines Stadtviertels, dem Quartier Bastille, das ursprünglich nicht gerade zu den Nobelhotspots der Stadt gehörte. Wen das hier an New York erinnert, dem sei gesagt: Paris war zuerst da. Die New Yorker Stadtverwaltung ließ sich von der Pariser Pflanzenpromenade für ihre berühmte „High Line“ inspirieren.

Für Pariser Verhältnisse ungewöhnlich ruhig ist es hier auf der Coulée Verte. Nach so viel Kultur tut ein bisschen Durchschnaufen gut.

Informationen

Schlafen
– Hotel 25 Hours  gegenüber der Gare du Nord und nur zehn Minuten zu Fuß von der Gare de l’Est. (12 Bd de Denain, 75010 Paris).  Zum Frühstück gibt’s Champagner. 25hours-hotels.com/hotels/
paris/terminus-nord
– Das Hotel „Le grand quartier“  (15 Rue de Nancy, 75010 Paris) punktet mit lässiger Dachterrasse. legrandquartier.com

Shopping mit Aussicht
Im  Shoppingtempel Galeries Lafayette (40 Bd Haussmann, 75009 Paris) gibt’s jetzt geführte Besichtigungen, 
die in die Archive und direkt unter die wunderschöne Art-déco-Buntglaskuppel führen. Und der Blick von
der Terrasse hinüber zum Eiffelturm ist atemberaubend

Barbara Beer

Über Barbara Beer

Kommentare