Er überrollt die Städte: So ein Koffer

Der Rollkoffer wird geliebt und gehasst. Was Machos damit zu tun haben, dass sich die Erfindung lange nicht durchsetzte.

Ratatatadrrrrrratatata. Die Rollkoffer rollen wieder. Über historische Pflastersteine, über Gehsteigkanten, über Nerven. Eine Reise ohne sie ist für viele undenkbar. Man liebt sie – als Reisende. Man hasst sie – als Nachbarin von Airbnb-Häusern. Sie sind Zeichen des Massentourismus und des Protests dagegen. Sie sind laut. Sprayer haben an Berliner Häuserwände geschrieben: „No more Rollkoffer!“ 

Verreisen ohne Rollkoffer? Für viele undenkbar. 

©APA/dpa/Christoph Soeder

Dieser Zug ist in Zeiten des Massentourismus abgefahren 

Doch noch in den 1970er-Jahren sah es so aus, als würde sich das rollende Gepäck nicht durchsetzen können. Der amerikanische Kofferexperte Bernard Sadow meldete das erste Patent an und scheiterte wirtschaftlich. Dabei schien das Ding so praktisch: Nicht schleppen, nur ziehen. Auch der französischen Firma Delsey war nicht gleich Erfolg beschert. Sie brachte 1972 einen rollenden Koffer auf den Markt. Trolley hieß er. 

Der Name sollte bleiben, der Erfolg noch auf sich warten lassen. 17 Jahre lang. 

Es brauchte jemanden, der das Rad neu erfand 

Oder genauer gesagt: die Räder. Es war der Pilot Robert Plath. Naheliegend, dass es ein Kapitän war. Er reduzierte von vier auf zwei Räder und brachte den Teleskopgriff ins Spiel. Plath wurde durch das 1987 angemeldete Patent US4995487 Millionär. Der Massentourismus spielte ihm in die Hände. 

Der Nobelpreisträger und Ökonom Robert Shiller ist von der Verzögerung fasziniert. "Ich finde es lustig, dass Erfindungen, die einfach und naheliegend scheinen, irgendwie lange Zeit brauchen", zitiert die Tagesschau aus einem Vortrag von Shiller an der Universität Yale.

Machos setzten sich durch

Dass sich das Konzept nicht gleich durchsetzen konnte, scheint eine Mischung aus Machismo und technischen Problemen zu sein. 

Sadow montierte Rollen an den Koffern, allerdings an der Längsseite, vorne befestigte er einen Riemen, um das Gepäckstück ziehen zu können. Eine wackelige Konstruktion. Der Koffer kippte. Dazu kam: Gepäck zu tragen, schien für die Herren der Schöpfung Ehrensache zu sein. Und überhaupt - es gebe doch Gepäckträger. So argumentierte der Handel. 

Koffer werden Marienkäfer

Jetzt gibt’s wieder Modelle mit vier Rädern, auch solche, auf denen Kinder rollen können. Marienkäfer sind sehr beliebt.  

Was sich so tut, wenn der Koffer kippt

©Courrech du Pont/ The Royal Society/ DPA

Physik des kippenden Koffers: Was tun, wenn der Trolley schwankt?

Es ist ärgerlich. Immer, wenn man es gar nicht braucht kippt der Rollkoffer. Physiker haben sich des Phänomens angenommen und kommen zu folgendem Schluss: Bei schwankenden Rollkoffern mit flatternden Rädern sollten Reisende eher Gas geben als abbremsen. Diesen Tipp gaben französische Forscher, nachdem sie das Phänomen 2017 praktisch und theoretisch eingehend unter die Lupe genommen haben. Die Forscher um Sylvain Courrech du Pont von der Universität Sorbonne Paris Cité untersuchten die Bewegungen eines Rollkoffers mit einem Modell auf dem Laufband. 

Zwei verschiedene Kräfte wirken beim Kippen auf den Koffer ein: Die Schwerkraft zieht die Räder auf den Boden, das Ziehen in Verbindung mit den starren Rädern zwingt sie auf kurvige Bahnen. Zieht man den Koffer schneller, erreicht man den Forschern zufolge rascher wieder den Gleichgewichtszustand, bei dem sich beide Räder auf dem Boden befinden. Noch einfacher bekommt man seinen Koffer in den Griff, wenn man stehenbleibt und neu anrollt.

In Dubrovnik wären die Menschen in ihren Wohnungen froh, die Rollkoffer wären nie erfunden worden. Die Stadt empfiehlt, die Gepäcksstücke nicht durch die Stadt zu rollen. Bei 27.000 Besuchern täglich, verständlich.

Ratatatadrrrrrratatata.

Katharina Salzer

Über Katharina Salzer

Katharina Salzer begann 1999 im KURIER und war viele Jahre für die Chronik in Niederösterreich unterwegs. Sie war stellvertretende Chronik-Ressortleiterin, bis sie 2019 in das Sonntags-Ressort wechselte.

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