Herz-Kestranek: "Was hat uns dieser Wahnsinnige da alles hinterlassen?“
Der „Vielseitigkeitskünstler“ und Buchautor Miguel Herz-Kestranek über Fensterln, Filmstars und feine Zwischentöne.
Er verkörpert wie kaum ein anderer europäische Kultur- und Geistesgeschichte. Als seine Großeltern heirateten, gratulierte Klimts Adele Bloch-Bauer. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein war mit seinem Großonkel befreundet. Und er saß als Elfjähriger am Schoß von Hollywoodstar Clark Gable, bevor dieser nach Italien fuhr, um mit Sophia Loren „ Es begann in Neapel“ zu drehen. Dennoch ist Miguel Herz-Kestranek sehr mit seiner Heimat verwurzelt. Seit ihn seine Stiefmutter zum Adventsingen in Salzburg mitgenommen hat, geht ihm dieser Zauber aus den Kindertagen nicht mehr aus dem Kopf.
Miguel Herz-Kestranek: Ich liebe den Winter. Auch das Skifahren, das ich heuer nach 35 Jahren pausieren wieder angehen will.
Ich weiß, die Ski wurden immer kürzer und breiter. Meine letzten waren 2,10 Meter lang. Aber, keine Angst, ich nehme mir einen Skilehrer. Das Adventsingen, das ich jedenfalls als Kind miterlebte, hat mich 1998 dazu angeregt, in Bad Ischl in der Großen Kurhalle Advent zu feiern. Da gehen 800 Leute rein. Das machte ich zehn Jahre lang und dachte, warum immer nur alpenländisch, veranstaltete den „Wiener Advent“ im Museumsquartier, wo 900 Leute reingehen, also mehr als 6.000 Zuseher in drei Wochen. Später kamen unter „Alte Nachbarn – Neue Brüder“ Adventveranstaltungen mit Gruppen aus umliegenden EU-Ländern dazu.
Das artete in wahnsinnig viel Arbeit aus, die quasi schon am 1. Jänner wieder anfing. Ich bin jetzt nur mehr solo und vornehmlich kabarettistisch unterwegs. Aber leider musste ich, wie im Vorjahr, schon wieder alle Auftritte von „Advent, Advent, der Obstler brennt“ absagen.
Nicht wirklich, denn das Salzkammergut ist vielfältiger als man gemeinhin glaubt. Altaussee etwa war eine evangelische Enklave. Als die Spitzel gekommen sind und geschaut haben, was da in der Kirche geschieht, haben sie eine katholische Messe gefeiert.
In meiner Erinnerung tauchen im Winter die Schwedinnen auf. Da kamen schwedische Busse mit noch nie gesehenen blonden Traummädchen. Das war 1966 oder 1967, da war ich siebzehn, achtzehn Jahre alt. Da habe ich nur schauen dürfen, sonst war da gar nichts. Ich bin heimlich aus dem Fenster gestiegen und bin vor den zwei Lokalen gestanden, wo sich die aufhielten. Es gab nur zwei Lokale, das Parkcafé, ein Tanzschuppen am See, und die Zwölferalm. Ich dachte, mein Gott, wenigstens mit einer tanzen. Es hat nicht geklappt. Am Skihang hat man sie dann gesehen. Die fuhren alle toll Ski und hatten blonde Pferdeschwänze.
Hollywood klopft an
Im Sommer hatten wir oft das Haus vermietet. Es war ja kein Geld da. Wir wohnten dann woanders oder auf dem Dachboden. ...
Ja, eines Tages kam ein Anruf, ob wir das Haus an Clark Gable vermieten. Ich glaub’, mein Vater hat gar nicht gewusst, wer das ist. Ich auch nicht. Ich war damals elf Jahre alt. Und wir hatten weder ein Radio noch einen Fernseher. Wie der auf uns gekommen ist, weiß ich nicht. Er war auf Europareise, weil er im Herbst mit Sophia Loren einen Film drehen sollte – „Es begann in Neapel“.
Ich weiß, die Ski wurden immer kürzer und breiter. Meine letzten waren 2,10 Meter lang. Aber, keine Angst, ich nehme mir einen Skilehrer.
Clark Gable war drei Wochen bei uns, mit seiner schwangeren Frau und ihren zwei Kindern aus einer früheren Ehe. Ein kleines, blondes Mädchen und ein kleiner, blonder Bub. Ich war elf, das Mädchen war elf und wir haben uns verliebt. Da haben wir uns einmal radebrechend ausgemacht – ich konnte nicht Englisch, sie nicht Deutsch –, dass wir uns am Abend, wenn die Eltern nach Salzburg fahren, bei ihrem vergitterten Badezimmerfenster treffen. Da musste ich über ein Dach hinüber und bin dabei runtergefallen. Das war mein erster und letzter Fensterl-Versuch.
Wollten Sie wegen dieser Begegnung mit Clark Gable Schauspieler werden?
Wir waren viel mit ihm zusammen, er war sehr leutselig. Er hat sich einen Tirolerhut gekauft und immer Bauernschnaps getrunken. Aber Schauspieler gab es genug in meiner Familie. Schon mein Großvater Eugen Herz und mein Vater wollten welche werden. Ihre Eltern haben aber gemeint, macht einmal den Doktor, man weiß ja nie. Sie haben auch gespielt, in Dilettantenaufführungen. Großvater hat sogar Stücke geschrieben, die aber nie aufgeführt wurden. Eine Großtante war im Kabarett in Graz, eine andere war Schauspielerin in Düsseldorf. Ich bin der erste, der den Beruf für Geld ausübt. Obwohl man als Schauspieler eher als Kasperl betrachtet wird, denn als jemand, der für geistige Sachen zuständig sein könnte.
Ich sehe mich nie als Künstler, sondern mache mit Können, Fleiß und Disziplin einen Job. Eine Vorstandssitzung der Gesellschaft für Exilforschung mit Universitätsprofessoren und Historikern aber war für mich wie Manna. Da bin ich befreiter und befriedigter nach Hause gegangen als nach einer Theatervorstellung. Und seitdem ich Musical gesungen habe, lockt mich Sprechtheater ohnehin kaum mehr.
Lustig, dass Sie das sagen. Ich war bis vor fünfzehn Jahren todunglücklich mit meiner Stimme. Ich wusste, was ich ausdrücken will, aber die Stimme hat’s nicht geschafft. Wirklich geöffnet hat sich meine Stimme erst mit dem Musical.
Das war für die Episode „Playback“ aus dem Jahr 1975. Oskar Werner hat sich für die deutschsprachige Version selbst synchronisiert. Aber als der deutsche Synchronsprecher von Peter Falk starb, wollte man in Deutschland alle Episoden neu synchronisieren. Oskar Werner war zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr am Leben. Da wurde ich angerufen. Ich lehnte ab, weil den Oskar Werner kann man nicht synchronisieren. Dann hieß es, dann macht’s eben jemand anderer. Wer ist denn angedacht, fragte ich. Es wurden zwei Namen genannt und so meinte ich: Na gut, dann mache ich es. Knieschlotternd und mit wahnsinniger Ehrfurcht habe ich es hinter mich gebracht. Diese Episode läuft ja immer wieder einmal im Fernsehen. Aber die Deutschen merken es sowieso nicht und in Österreich nur die Alten.
Wortspielereien haben mich immer sehr interessiert. Wenn ich zum Beispiel meinen Kollegen Stephan Paryla, einen herrlichen Schüttelreimer, treffe, begrüßen wir einander mit neuen Reimen. Irgendwann begann ich, welche aufzuschreiben. Mit einem Geschäftsmann stellte ich vor vielen Jahren eine Schüttelreim-Seite ins Internet. Da sind Tausende Reime drauf, die können Sie umsonst abonnieren. Das ist eine Nebenfront, die ich kaum mehr bearbeite.
Ich werde nächsten April 74 Jahre alt, fühle mich aber nicht anders als vor zwanzig, dreißig Jahren. Aber beim Gedanken an die Restzeit zieht’s einem manchmal alles zusammen.
Das war die EM der 0-Jollen, einer traditionellen Einhand-Bootsklasse. 66 Boote aus fünf Nationen haben teilgenommen. Ich nahm mir vor, drei hinter mir zu lassen. Das ist mir gelungen: Ich wurde 62., aber zurück zu meinem Schreibtisch. Ich ordne jetzt mein ganzes Leben, damit nicht meine Frau Miriam und meine Tochter Theresa dann sagen: Oh, Gott, was hat uns dieser Wahnsinnige da alles hinterlassen?
Stimmt, aber ich bin jetzt seit fünf Jahren glücklich verheiratet. Ich habe diesen Schritt mit 68 Jahren gemacht. Wir kennen einander elf Jahre und eines Tages habe ich gesagt: Weißt’ was, heiraten wir. Miriam darauf: Das freut mich sehr. Ich bin am Montag in St. Gilgen zum Standesamt und erkundigte mich, was man dazu braucht. Dann fragte ich beim Dorfjuwelier nach Eheringen und ob sie bis Donnerstag graviert sein können, und am Freitag haben wir nur zu zweit geheiratet.
Die haben wir heuer im Herbst gemacht, auf Capri. Wenn schon, dann das Kitschigste, das es gibt.
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