Calvin-Klein-Erregung: Wenn der Skandal die Unterwäsche verkauft
Die neuen Werbungen von Calvin Klein erregen die Gemüter. Und sorgen sogar für Verbote. Es geht um Sexismus, aber auch um "Sex sells“.
Das Problem mit dem Sex ist: Zwischen den Laken vereint er die Leute, in der Debatte entzweit er sie. Was dem einen zu weit geht, ist für den anderen längst Normalität. Schreckt einer schon bei Crop Tops hoch (für die Älteren unter uns: das sind bauchfreie Oberteile), verziehen andere bei Harnischen oder ähnlichen Modeaccessoires aus der BDSM-Szene keine Augenbraue mehr. Mixt man die unterschiedlichen Privatstandards dann noch mit der richtigen Dosis an Moral und gesellschaftlichem Zeitgeist, entspinnt sich ein herrlich intensiv diskutiertes Feld. Aufregung, garantiert!
Und so begab es sich, dass eine Unterwäsche-Kampagne im britischen Königreich jüngst für große Dramatik sorgte. Zwei (richtig gelesen) Personen hatten sich beschwert. Sie hielten die Kampagnenbilder der Marke Calvin Klein für „übermäßig sexualisiert“.
Darauf zu sehen: die Sängerin FKA Twigs, nackt im Jeanshemd, dabei zu erblicken ein Teil ihrer Brust und ihres Pos. Grund genug für den Werberat einzuschreiten und das Sujet zu verbieten. Warum? Die Inszenierung lenke „den Fokus auf den Körper des Models und nicht die beworbene Kleidung“.
Das Diskussionsrad, es kam jetzt in Schwung. Die Vogue schrieb: Sexismus. Der Designer rechtfertigte sich, ähnliche Bilder seien früher ohne Probleme veröffentlicht worden. Und FKA Twigs stellte fest, auf dem Foto sehe sie nichts anderes als „eine schöne, starke schwarze Frau“ (womit sie eine Rassismus-Ebene einzog) und bezog sich auf die sinnlichen Selbstdarstellungen von Josephine Baker, Eartha Kitt und Grace Jones.
Wir merken: Die Sache mit dem Sexappeal, sie ist längst sehr kompliziert geworden. Was ist diskriminierende Ausbeutung, was stolze Selbstdarstellung? Wie gesellschaftsgefährdend sind Menschen in Unterwäsche (deren „Fetischisierung“ Chef-Feministin Alice Schwarzer unter „Nuttenmode“ einordnet)? Und werden weibliche Körper in der Werbung ungerechteren Kriterien unterworfen als männliche? Viele meinen: ja. Immerhin hielt sich die Aufregung gelinde gesagt in Grenzen, als der Schauspieler Jeremy Allen White kurz vor dem Twigs-Aufreger auf dem Dach eines New Yorker Wolkenkratzers für einen Calvin-Klein-Werbeclip (was sonst) verschwitzt und aufgepumpt seiner Trainingspanier entstieg: begeisterte Stoßseufzer anstatt empörter Krakeelerei.
Sex sells – zumindest sorgt er für Aufmerksamkeit. Calvin Klein ist ein Meister darin. Ob Kampagnen mit Brooke Shields, Kate Moss oder Mark Wahlberg, zuverlässig sorgen die halbnackten Tatsachen für Kontroversen. Auch heuer. Wer in der Debatte Recht bekommt, ist Nebensache geworden. Die skandalisierte Werbung wirkt – die Strategen haben alles richtig gemacht. Gesellschaftlich gilt eher: Keinen Fehler zu machen – ist so gut wie unmöglich.
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