In der Po-Ebene: Erstaunliche Erkenntnisse über den Hintern

Des Menschen Beziehung zum Hinterteil ist kompliziert, wie nun ein neues, spannendes Buch zum Thema zeigt.

Flacher Hintern, runder Hintern, großer Po, kleiner Po – das Gesäß beschäftigt die Menschheit seit Entwicklung des aufrechten Gangs. Vor allem dessen Form ist ein erschöpfendes Thema. Gedacht und gedichtet wurde dazu schon viel – kein Ende in Sicht. Die interessanteste Beschreibung, die mir dazu einfällt, stammt von D. H. Lawrence, der in seinem legendären Erotikœuvre „Lady Chatterley“ über die „schläfrige, runde Stille der Pobacken“ schrieb. Eher in die Kategorie nicht gut, also hoffentlich bald aus, fallen Onlinestorys mit Titeln wie „Hallöchen Popöchen: So bringst du deinen Hintern zur Geltung“ oder „Mode-Trick: Den Po größer schummeln, so geht’s“. Stellt sich nur die Frage, was mit jenen ist, die den Po kleiner schummeln wollen?

Rettich und Popo

Auffällig außerdem, die wachsende Beschäftigung mit sogenannter „Po-Erotik“ in Mainstream-Medien mit Überschriften im Sinne des Clickbaiting: „So erobern Sie die erogene Zone Po!“ oder „Wenn der Rettich aus dem Po geborgen werden muss.“ So weit, so na ja – aber eben die Realität. Dazu kommt eine allgemeine Hintern-Optimierungs-Obsession: Je nach aktuell angesagter Gesäßform plagen wir uns beim „Big Booty-Workout“ oder nagen uns mit Karotten und Salatblättern Richtung Flachland. So sind wir auch schon beim zeitlos unschönen Drama – wie er ist, ist er nicht gut, und wenn er gut ist, könnte er noch so viel besser sein – also ab ins Bauch-Beine-Po-Training. Da wird die Sehnsucht nach einer gewissen „Body Neutrality“ (statt „Body Positivity“) zutiefst nachvollziehbar. Denn ja: Wie viel leichter wäre alles, würde uns die Form des Hinterns einfach nur am Arsch vorbeigehen.

Doch dann verliert man sich einen verregneten Nachmittag lang erneut im Instagram-Universum und kommt drauf, dass man jetzt „Po-Dekolleté“ trägt, was flinkwitzige Schreiber ausufernd originell mit einem „Die Stars, die sich gekonnt in POse schmeißen“ garnieren.

Wie schön, dass Anfang Juni nun ein Buch erscheint, das des Menschen eher komplizierte Beziehung zum Gesäß nicht nur sehr umfassend, sondern vor allem sehr klug beleuchtet: „Vom Hintern. Die Geschichte einer Rundung“. Die „Untersuchung“ der Journalistin Heather Radke vertieft sich in jenen einzigartigen Körperteil, der – evolutionsbiologisch betrachtet – für unser Überleben von großer Bedeutung war und ist, aber auch für Sex, Begehren, Unterhaltung und Scham steht. Und natürlich reden wir hier vor allem vom weiblichen Popsch, als heiß geliebten, aber auch viel kritisierten Körperteil. Er ist so viel mehr als nur ein anatomisches Detail, sondern auch „Schauplatz sich verändernder kultureller Symbolik und Macht“. Dank der sozialen Medien ist der Hintern überdies zum „Gebrauchsgut“ geworden, so Radke, das „sich mit aller Welt teilen lässt“ – siehe Instagram . Man denke da etwa an den Begriff „Belfie“ aus dem Jahr 2013, ein Kofferwort aus „Butt“ und „Selfie“ zur raffinierten Inszenierung des Hinterteils.

Pride Month

Erneut steht der Juni im Zeichen der LGBTIQ-Szene – für  mehr gesellschaftliche Toleranz. Diversity leben und Vielfalt feiern will auch das Technische Museum Wien – mit dem  Ziel einer genderinformierten Forschungs-, Vermittlungs- und Ausstellungspraxis. Geboten werden queere Führungen,  die Fassade des Hauses wird an manchen Tagen in Regenbogenfarben erscheinen. Info: technischesmuseum.at

Radke sieht den Hintern als „Leitmotiv“ – und alle Gefühle, die wir in Bezug auf ihn haben, haben fast immer mit anderen, individuellen Gefühlen zu tun, in Bezug auf Rasse oder Geschlecht, etwa. Dabei wirft die Autorin sogar einen Blick auf ihren eigenen Po, den Männer als „sexy“ erachteten, mit dem sie aber – wie so viele ihrer Geschlechtsgenossinnen – oft auch zufrieden war. Umso tröstlicher ihr letzter Hinterngedanke im Buch: „Und wie ich da so in meiner Unterwäsche stehe, kurz bevor ich mir die Hosen anziehe und in die Welt hinausgehe, fühlt sich mein Hintern manchmal gar nicht wie ein Problem oder ein Segen an. Sondern schlicht wie eine Tatsache.“

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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