Netflix-Serie "Love is blind“: 5 Gründe, warum das Experiment nicht funktioniert

"Love is blind“ wurde mit über 30 Millionen Zuschauern schnell zu einer Top-Serie. Die Serie gilt als soziales Experiment. Eine Psychotherapeutin klärt auf, warum das Konzept nicht funktionieren kann.

Sich in jemanden verlieben, ohne zu wissen, wie er oder sie aussieht. Ob das funktioniert, versucht die Reality Show "Love is blind“ herauszufinden. Sie gilt als soziales Experiment, bei dem die Teilnehmer ergründen, ob es möglich ist, sich in jemanden zu verlieben, den man noch nie gesehen hat.

Die Netflix-Serie basiert auf der Idee, dass eine emotionale Verbindung über allem anderen steht. Das heißt: Wenn Menschen aufhören, sich auf ihr äußeres Erscheinungsbild zu konzentrieren, können sie eine stärkere Bindung aufbauen – vielleicht sogar zu jemandem, mit dem sie sonst im Alltag normalerweise nicht sprechen würden.

Die Psychotherapeutin und Autorin von "13 Dinge, die geistig starke Menschen nicht tun“, Amy Morin, hat sich die Serie angesehen. Ihrer Meinung nach gibt es mehrere Gründe, warum das Experiment für die meisten Menschen nicht funktionieren kann.

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Grund 1: Menschen teilen ihre Wahrnehmung darüber, wer sie zu sein glauben

Die Teilnehmer von "Love is blind“ sprechen miteinander, während eine Wand zwischen ihnen steht. Das heißt, sie lernen die andere Person nur anhand dessen kennen, was sie über sich erzählt. Doch Menschen teilen ihre Wahrnehmung von sich selbst – und nicht so, wie andere sie sehen.

So könnte sich also jemand als netter Mensch betiteln. Aber wenn man die Person in der realen Welt sieht, wird man vielleicht feststellen, dass sie beispielsweise Personal schlecht behandelt oder in bestimmten Situationen die Selbstbeherrschung verliert. Auch wenn sie manchmal freundlich sind, stimmt ihre eigene Beschreibung möglicherweise nicht mit der Wahrheit überein.

Manche Teilnehmer teilen zudem ihr Wunschdenken. Sprich, sie teilen die Version von sich selbst, von der sie sich wünschen, dass sie wahr wäre. Das kann daran liegen, dass sie in einem bestimmten Licht gesehen werden wollen. Oder auch daran, dass sie hoffen, eines Tages diese Person zu werden.

Grund 2: Sie treffen Beziehungsentscheidungen in einer künstlichen Umgebung

Beim typischen Dating trifft man sein Gegenüber in einer realen Umgebung. So erfährt man, wie sie sich verhält. Doch bei der Netflix-Serie verabreden sich die Darsteller mündlich. Sie dürfen keinen Kontakt zur Außenwelt haben.

Das bedeutet nicht nur, dass sie ihr Liebesinteresse nicht im Alltagsgeschehen sehen, sondern auch, dass die Bedingungen des Experiments normalisiert werden. Die einzigen Menschen, mit denen sie reden dürfen, sind andere, die in der gleichen Situation stecken und ebenfalls versuchen, sich in jemand Fremden zu verlieben.

Grund 3: Sie erschaffen eine Fantasie über die andere Person

Dadurch, dass sie Kandidaten nur durch die Wand miteinander sprechen, bleiben viele Fragen ungeklärt: Wie sieht die Person aus? Wie wird man sich fühlen, wenn man körperlich zusammentrifft? Wie wird man gemeinsame Herausforderungen bewältigen? Und so weiter.

Die Paare wissen auch nicht viel über das Leben des anderen. Ihnen fehlen notwendige Informationen, um festzustellen, ob sie kompatibel sind. Es ist leicht zu sagen, dass sie zueinander passen, wenn sie durch eine Wand sprechen. Schwieriger wird’s, wenn sie in der realen Welt andere Möglichkeiten haben.

Wegen so viel Unbekanntem träumen die Teilnehmer von einem märchenhaften gemeinsamen Leben. Doch leider wird die Realität der Fantasie oft nicht gerecht.

Grund 4: Emotionale Chemie bedeutet nicht, dass sie auch eine physische Chemie haben

Die richtige Chemie ist ein großer Teil jeder romantischen Beziehung. Während Paare in der Serie sich also nur persönlich treffen, wenn sie das Gefühl haben, dass die emotionale Chemie zwischen ihnen stimmt, fehlt es ihnen manchmal an physischer Chemie. Das bedeutet keineswegs, dass die Personen oberflächlich sind.

Die physische Chemie ist ein zusätzlicher Funken, der Paaren hilft, sich ineinander zu verlieben. Dazu zählt nicht nur das Aussehen, sondern auch der Geruch. Die Komponenten entscheiden darüber, wie sexuell anziehend man sein Gegenüber findet. So wird nicht immer aus jeder emotionalen Verbindung auch eine physische.

Grund 5: Die Teilnehmenden stehen unter Zeitdruck

Wenn sich die Kandidaten sehen wollen, müssen sie sich verloben, um zur nächsten "Phase“ überzugehen. Anschließend machen sie gemeinsam einen kurzen Urlaub, bevor sie für ein paar weitere Wochen in einer von der Show zur Verfügung gestellten Wohnung wohnen. Während dieser Zeit sollen sie ihre Hochzeit planen.

Der Druck, in kurzer Zeit eine Entscheidung fürs Leben treffen zu müssen, ist also groß. Wenn keine Möglichkeit besteht, jemanden über einen längeren Zeitraum kennenzulernen, verfügen die meisten Paare nicht über genügend Informationen für diesen Schritt.

 

Über Janet Teplik

Digital Producer bei freizeit.at. Nach dem Studium der Geschichte, Germanistik und Kunstgeschichte zog die gebürtige Deutsche nach Wien und studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Zuletzt war sie stellvertretende Chefredakteurin bei der MG Mediengruppe.

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