Post-Sex-Blues: Was Tränen nach dem Koitus bedeuten können

Wenn eine Frau (öfter) oder ein Mann (seltener) bei oder nach dem Sex weint, sorgt das meist für Irritation: Was ist los, was lief falsch, was tun?

Im Idealfall führt guter Sex in Momente der Ekstase: Da wird geseufzt, gestöhnt, geschrien. Die beste Art, um Angestautes loszuwerden und Gefühle auszudrücken. Tränen passen da weniger ins Bild, das ist ungefähr so, als würde man Chips zur Sachertorte reichen oder Schaumrollen zu Sushi. Und trotzdem gibt es Menschen, die während oder nach dem Schnackseln weinen müssen. Frauen, aber auch Männer. Ist das nun gut oder schlecht?

Kommt darauf an. Prinzipiell haben Tränen in unserer Gesellschaft einen eher geringen Glamourfaktor. Heulsusen gelten allgemein als Drama-Queens, die männliche Version als verweichlicht. In Bezug auf Erotisches dominiert so oder so das Bild: Erst der Spaß beim Sex, dann das Lachen, der Rotwein, die Zigarette danach. Oder aufstehen und gehen. Leichtigkeit, Befreiung, jedenfalls. Beim Vögeln sind Tränen ein No-go.

Und trotzdem gibt es Menschen, die beim Sex weinen. Irritation in der Horizontalen: Heult sie, wird er denken, er hat was falsch gemacht. Heult er, ist umfassende Ratlosigkeit angesagt. Tränen während oder nach dem Sex können allerlei bedeuten, im ungünstigeren Fall handelt es sich um „Post Sex Blues“, auch postkoitale Dysphorie genannt. Ein Stimmungstief, das zu einem Gefühlsmix aus Angst, Traurigkeit, Bedrücktheit und Melancholie führt. Wissenschaftliche Erklärungen gibt es dafür einige, bestimmte Hormone werden damit in Verbindung gebracht, es kann auch um Ängste gehen, etwa Beziehungen und Bindung betreffend.

Akt der Befreiung

Keine Seltenheit. Im Jahr 2015 wurde in der Zeitschrift „Sexual Medicine“ eine Studie veröffentlicht, in der die sexuellen Erfahrungen von etwas mehr als 230 Studentinnen untersucht wurden. 46 Prozent gaben an, schon einmal Anzeichen einer postkoitalen Dysphorie erlebt zu haben. Aber auch Männer berichten zuweilen darüber, dass sie sich nach dem Sex verstimmt oder gereizt fühlen und dann ein Weilchen melancholisch sind. Zum Problem wird das, wenn alle Beteiligten darunter leiden und es regelmäßig vorkommt. Dann sollte darüber gesprochen werden, im Sinne der Ursachenfahndung.

Heulsusen gelten allgemein als Drama-Queens, die männliche Version als verweichlicht. In Bezug auf Erotisches dominiert so oder so das Bild: Erst der Spaß beim Sex, dann das Lachen, der Rotwein, die Zigarette danach. Oder aufstehen und gehen. 

Im besseren Fall geht’s schlicht um Erleichterung, im Sinne des griechischen Begriffs „Katharsis“, der auf Aristoteles zurückgeht. Damit ist eine Reinigung gemeint – ein Akt der Befreiung. Das Korsett geht auf, die Mauer fällt, intensive Emotionen brechen heraus, wie eine Welle, kaum zu kontrollieren. Im Englischen existiert der Begriff „orgasmic relief“, übersetzt ungefähr: orgasmische Erleichterung.

Man kennt das ja, dieses Gefühl von Auflösung, der angenehme Müdigkeit folgt oder der Eindruck, man sei herrlich leicht und frei. Man hat sich entladen – und wer entlädt, verliert Flüssigkeit, mitunter in Form von Tränen. Aber ja: Die Erfahrung in den Armen jenes Menschen zu weinen, mit dem man gerade in orgasmischen Sphären unterwegs war, kann wunderschön sein. Die Dinge sind in diesem Augenblick so wie sie sind. 

Weinen heilt, gemeinsames Weinen noch viel mehr. Stress fließt ab, der Druck schwindet – da ist so viel Verbundenheit und Tiefe. Und Kraft. Daher braucht sich niemand dafür zu schämen oder womöglich Angst zu haben, dass es um irgendeine Fehlleistung oder Enttäuschung geht. Niemand hat was falsch gemacht, stattdessen ist für einen Augenblick alles da, was uns Menschen ausmacht: Rührung, Berührtheit, Echtheit. „Tränen reinigen das Herz“, so Dostojewski. Ein guter Moment, um zu kuscheln und still zu sein. Ja, und manchmal geschieht sowieso Unerklärliches: Wenn das Weinen in Lachen übergeht. Viel Spaß.

Filmtipp

„It's Raining Men“ ist eine Komödie über Liebe und Sex in Zeiten der Dating-Apps sowie weibliche Begierde: Iris ist eine erfolgreiche Zahnärztin in den 40ern und Mutter zweier Jugendlicher. Stéphane, ihr Mann, ist ein gut aussehender Architekt und Workaholic, der seinen Computer noch mit ins Ehebett nimmt und kein Verlangen mehr hat.  Um als Frau begehrt zu werden, schreibt sich Iris auf einer Dating-App ein. 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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