Sie waren dann bei einer Sexualtherapeutin, was hat die gemacht?
Sie: Großartig war, dass sie einen körperlichen Ansatz hatte. Sie hat nicht in der Vergangenheit herumgerührt, sondern bei null angefangen. Indem sie uns wieder in die Pubertät zurückgeschickt hat und uns Übungen machen ließ. Immer wieder, in vielen Wiederholungen, über ein ganzes Jahr lang.
Er: Meine erste Hoffnung war, wenn wir diese Therapie machen, erfüllen sich meine Fantasien von Swingerklub, Lack und Leder, all das Zeugs. Mein Kopf hat am Anfang vollkommen verrückt gespielt, doch mein Körper hat mich eines Besseren belehrt. In der letzten Sitzung fragte uns die Therapeutin, welche Momente besonders waren. Für mich waren es jene, die ganz bewusst und langsam waren.
Sie: Als eine Art Zeitlupe eingetreten war, ein Verschmelzen und Spüren in Slow Motion. Das hat uns begeistert. Da wollten wir weiter forschen. In diesem Prozess haben wir dann auch mal eine Tantra-Massage gebucht, ein Verehrungsritual für den ganzen Körper, wo Lust und Sinnlichkeit mit eingeladen sind.
Womit wir beim „achtsamem Sex“ wären – was ist das?
Er: Man kann das Wort Achtsamkeit auch durch Bewusstheit ersetzen. Etwas im Moment bewusst wahrzunehmen. Eine schöne Blume, ein schönes Musikstück, einen Geschmack oder eben eine Berührung.
Sie: Das Zauberwort heißt, bei sich und seinem Empfinden zu bleiben. Wir sind beim Sex so oft bei dem anderen. Da berühre ich, und hoffe auf Reaktion, am besten in Form von Erregung oder eines Höhepunkts. Ich fühle mich für das Erleben des anderen zuständig, doch in diesem Modus kann ich mich selbst nicht wirklich spüren.
Das wahrnehmen, was sich gerade bei mir abspielt …
Sie: Ja, zu schauen, was mein Körper möchte. Wir sind so oft im Kopf, auch, weil wir irgendwo gelesen haben, dass Frauen das gerne mögen und Männer dies. Sich davon freizumachen und zu sagen, was brauche ich heute, ist ein großer Schritt.
Er: Da ist es schön, mit einer erwartungsfreien Haltung in die Begegnung zu gehen, sodass sie ergebnisoffen bleibt. Sich überraschen zu lassen, damit neue Qualität in die Begegnung kommen kann.
Wie gelingt dieser gemeinsame „Tanz“?
Er: Der wird möglich, wenn ich mich selbst gut kenne. Dann weiß ich, was mir gefällt. Wenn der andere das auch weiß, kann man sich gegenseitig anleiten und Wünsche äußern, mit Worten, mit Gesten. Ich kann auch eine Hand führen, wenn ich das möchte. Oder es vormachen.
Sie: Ich muss wissen: Was möchte mein Körper heute? Das fällt vielen Menschen schwer. Kommunikation fängt an, wenn ich ausdrücken kann, was ich brauche.
Klingt nach einer Entdeckungsreise …
Er: Es geht darum, nicht irgendwelchen Konzepten zu folgen, die wir mal aufgeschnappt haben, sondern unseren körperlichen Impulsen und neugierig zu bleiben. Das ist unser Weg, bis heute. Wir entdecken immer wieder neue sinnliche Berührungsqualitäten. Irgendwann kam der Wunsch, unser Wissen an andere Menschen weiterzugeben.
Achtsamer Sex ist langsam und bewusst – eine Empfehlung für frisch Verliebte?
Er: (lacht) Wenn zwei frisch verliebt sind und so viel Lust und Leidenschaft aufeinander haben, geht man dem am besten nach. Trotzdem ist es interessant, den Menüteller bunter zu machen. Nicht immer nur „Fast Food“, sondern auch mal ein 5-Gänge-Menü, um eine Vielfalt an Möglichkeiten zu bekommen.
Sie: Nur weil da „Slow“ steht, heißt es nicht, dass Slow Sex immer langsam sein muss. Es heißt nur, dass ich mich, meinen Körper, meine Gefühle spüre. Dann wird Berührung automatisch erstmal langsamer. Slow Sex kann auch wild und leidenschaftlich sein. In erster Linie geht es um Bewusstheit.
Sex dient oft als schneller Spannungsabbau – was ändert Slow Sex daran?
Er: Männer haben oft eine Erektion und denken, damit was machen zu müssen. Den Penis schnell einzuführen, weil er jetzt steht. Während Frauen denken, aha der steht jetzt, da muss ich reagieren. In unserer Arbeit ist es wichtig, den Frauen diese Entscheidung zu überlassen: Möchte ich etwas in mir spüren oder nicht? Sie darf lernen, nein zu sagen oder: „Warte noch!“. Er wiederum darf lernen, zu spüren, wie es ist, wenn ihn eine Frau einlädt und willkommen heißt. Es ist ein großer Unterschied, wirklich willkommen zu sein und eine Erektion nicht als direkte Handlungsaufforderung zu verstehen.
Sie: Was dabei hilft: die Erregung nicht so hochzupushen, sondern sie eher auf mittlerem Niveau köcheln zu lassen.
Das widerspricht den Ideen von Sex, die in den Köpfen so herumgeistern …
Sie: Es ist wichtig, zu prüfen, was Sexualität genau für mich, für uns ist. Welches Bild, welche Konzepte, Bewertungen habe ich?
Er: Heißt Sex immer Penis in Vagina, Orgasmus und der eine schläft ein, während der andere hellwach ist? Oder kann nicht schon nacktes Kuscheln, Streicheln, eine Massage Sexualität sein?
Viele dieser Vorstellungen stammen aus Pornos. Bedeutet das ein Porno-No-Go?
Er: Ich bewerte nicht, wenn Menschen Pornos schauen. Es kann inspirieren. Aber es ist wichtig, zu verstehen, dass es sich um eine Performance handelt. Es ist verrückt zu glauben, anhand von Pornografie könnte ich etwas über Sex lernen. Mein Pornokonsum ist durch die neue Ausrichtung vollkommen zum Erliegen gekommen. Ich habe es einst mehrmals täglich praktiziert.
Ihr regt an, Sexualität zu einem neuen, eigenen „Projekt“ zu machen, um den „Tisch neu aufzudecken“. Welche fünf wichtigsten Inspirationen wollt Ihr den LeserInnen mitgeben?
Er: Sich für die körperliche Liebe Zeit zu nehmen. Sich in den Kalender verbindlich feste Termine einzutragen. Es nicht dem Zufall zu überlassen, sondern aktiv zu planen.
Sie: Absichtslosigkeit – damit ist gemeint, mit einem weißen Blatt Papier in eine sexuelle Begegnung zu gehen. Ohne vorher bereits zu wissen oder zu planen, was nachher darauf stehen wird.
Er: Eigenverantwortung und Kommunikation. Zu bemerken, welche Berührung mir Freude macht und dies wertschätzend zu kommunizieren. Mich zu fühlen, egal, ob ich berühre oder berührt werde. Entspannung ist ebenfalls wesentlich, um wieder weich und durchlässig zu werden.
Sie: Und das Thema Achtsamkeit. Zu merken, was los ist, in meinem System. Was kann ich spüren und ausdrücken? Nicht nur beim Sex, sondern auch im Alltag.
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