Das erste Mal Sex: Genetisch vorprogrammiert?

Spätzünder oder Frühstarter: Beim Verlust der Jungfräulichkeit könnte das menschliche Erbgut eine mächtige Rolle spielen.

Wie bestimmend ist die DNA, wenn es ums menschliche Verhalten geht? Wie prägend sind Sozialisation und Umwelt? Die Debatte fasziniert und spaltet die moderne Forschung seit dem frühen 20. Jahrhundert. Abgehandelt wurde sie an vielen Beispielen – auch am Fortpflanzungsverhalten.

Ein internationales Wissenschaftsteam aus Oxford und Cambridge hat nun untersucht, inwieweit die Gene beeinflussen, wann ein Mensch sexuell aktiv wird.

In ihrer Studie, die im renommierten Fachblatt Nature erschienen ist, liest man Erstaunliches: Hunderte DNA-Abschnitte im Genom seien für den intimen Meilenstein von Mädchen und Burschen mitverantwortlich. Auch das Alter, in dem Männer und Frauen zum ersten Mal Eltern werden, soll von diesen genetischen Markern abhängen.

Intime Erbgut-Analysen

Insgesamt wurden 371 spezifische Sequenzen der menschlichen DNA identifiziert, die mit dem Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs in Zusammenhang stehen. Für ihre Analysen wurde ein riesiger Gen-Datenpool genutzt. In Summe glichen die Forscher das in Biobanken gelagerte Erbgut von knapp 390.000 Menschen mit deren Lebens- und Liebesgeschichten ab. "So haben wir Hunderte genetische Marker entdeckt, die diesen grundlegendsten Teil unseres Lebens prägen", kommentiert Melinda Mills, Studienleiterin, Demografin und Soziologin, die Erkenntnisse.

Der Gen-Einfluss auf das jugendliche Sexualverhalten könnte indirekt verlaufen: Jene Gene, die mit dem Fortpflanzungsverhalten in Zusammenhang gebracht werden konnten, steuern nämlich auch andere biologische Prozesse im Körper (Freisetzung von Sexualhormonen, Eintritt ins Pubertätsalter) und das Temperament eines Menschen (risikofreudigeres Verhalten, Suchttendenz) mit.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der genetisch bedingten Beischlaf-Premiere ist nicht neu: Schon 2016 kam Mills zu dem Schluss, dass Unterschiede in der DNA zu einem Viertel erklären könnten, warum manche früher und andere später ihre Jungfräulichkeit verlieren. Damals wurden allerdings nur 38 DNA-Abschnitte identifiziert, die wohl mit dem signifikanten Moment im Leben in Verbindung stehen. Der Verhaltensgenetiker Martin Fieder von der Universität Wien schätzt den genetisch determinierten Anteil am frühen Sexualverhalten sogar noch höher ein: "Man kann davon ausgehen, dass bis zu 40 Prozent auf genetische Marker zurückgehen."

Komplexe Prozesse

Fakt sei: "Es gibt kein menschliches Verhalten ohne genetische Grundlage. Wobei der Anteil der Genetik je nach Verhalten verschieden sein kann. Die meisten Verhaltensweisen sind durch viele genetische Marker beeinflusst und nicht durch ´ein Gen´, wie man früher fälschlicherweise angenommen hat."

Klar sei nun, "wie groß der Anteil der Genetik am frühen Sexualverhalten ist". Wie die Gene genau das Verhalten steuern, beispielsweise über Hormone, sei meist aber noch unklar. "Das werden zukünftige Forschungsprojekte zeigen", sagt Fieder.

Also alles genetisch vorbestimmt? Kein freier Wille oder leidenschaftlicher Eifer beim ersten Mal? Nicht ganz. "Natürlich spielen genetische Faktoren eine Rolle", sagt Verhaltensbiologin Katrin Schäfer von der Universität Wien. "Unser Sexualverhalten passt sich aber auch an soziale Umweltbedingungen an."

In puncto Sexualität gehe man davon aus, dass "ein Mensch umso später sexuell aktiv wird, je weniger Umweltstressoren er ausgesetzt ist".

Marlene Patsalidis

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