Guido Tartarotti

"Überleben": Sie war das entzückendste Mädchen der Welt

Darf ich den Arm um dich legen? Eine Hand, eine Hüfte – und jede Menge Mottenlöcher. Mehr braucht der Mensch nicht.

Als ich mit meiner damaligen Freundin zum ersten Mal gemeinsam das Burgtheater besuchte, waren wir eine ganze Woche zusammen und besorgniserregend verliebt.

Es ging uns dabei nicht unbedingt um Sex, es reichte uns, einander anzuschauen. Ich konnte mir auch kein schöneres Bild vorstellen – sie war das entzückendste Mädchen der Welt. Zum Besuch des Burgtheaters erschien sie elegant wie eine Lady. Ich wollte mithalten und trug, um bei ihr Eindruck zu schinden, mein bestes Sakko. Was ich nicht gleich bemerkte, war: Das Sakko war übersät von Mottenlöchern. Sie bemerkte das sofort, sagte aber unter Aufbietung aller Kraft nichts – was ich ihr bis heute hoch anrechne. 

Als wir den Ring überquerten, wollte ich reflexartig den Arm um sie legen. Da fiel mir ein: Wir waren hier zum ersten Mal gemeinsam in der Öffentlichkeit, wer weiß, ob ihr das Recht ist?

Also fragte ich, beinahe schüchtern: Darf ich den Arm um dich legen? Sie strahlte dieses unvergleichbare Lächeln und sagte: Warum soll mich das stören?

Also legte ich den Arm um sie, spürte, wie sich ihre Hüfte an meine Hand schmiegte – und im selben Augenblick durchflutete mich ein überwältigendes Gefühl des Stolzes. Stolz darüber, dass diese fantastische Frau meine Hand für würdig hielt, an ihrer Hüfte zu liegen. Es war kein dreckiges Gefühl, sondern ein sehr unschuldiges und zartes. Noch heute weiß ich, wie glücklich ich in diesem Moment war.

Dieser Moment ist lange her, aber immer noch finde ich: Es gibt kein besseres Gefühl, als wenn eine Frau und ein Mann zum ersten Mal in der Öffentlichkeit die Arme umeinander legen. Für dieses Gefühl lohnt es sich, morgens aufzustehen.

Alles, was danach kommt, ist wunderschön, aber dennoch nicht vergleichbar: Eine Hand, eine Hüfte – und jede Menge Mottenlöcher. Mehr braucht der Mensch nicht. 

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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