Chaos de luxe Kolumne: Eskapismus mit Foodies
Wie man sich vor zuviel Realität (kurzfristig) bewahren kann.
Ich habe eine neue Form von Besessenheit entwickelt: Exzessives Betrachten von "food creators”, die auf Instagram Rezepte zubereiten. Es wirkt wie eine Art optisches Valium. Wenn man all dem oft jungen Gemüse in ihren schicken, nachhaltigen Küchen beim Brodeln und Schmoren zusieht, vermittelt einem das irgendwie die Illusion, dass die Welt doch ein beschaulicher, beschützter, lebensbejahender Ort ist. Meine momentane Favoritin: Meredith, Insta-Alias wishbonekitchen, die als "private chef” bei einer Zillionärsfamilie in den Hamptons arbeitet. Morgens sticht sie in einer drolligen Latzhose in den Kräutergarten des Anwesens, danach hackt, schnipselt und brutzelt sie glutenfreie Tacos mit exotischen Zackenbarsch-Avocado-Mischungen für die verwöhnte Brut, zaubert Pawlowas mit Beerenlandschaften für den Nachmittags-Tee, zu dem andere Zillionärsfamilien stechen, bei dem die Gattinnen, meist in Vanilla- bis-Karameltönen gekleidet, sich im Kollektiv über diese und jene Privatschule echauffieren und Personal-Probleme erörtern.
Diese "Slay Queens“ (so der Terminus für Damen, deren Wohnsitz im Luxus ist) sieht man leider nicht, aber man kann sie sich ziemlich genau vorstellen. Der Zoo dieser Foodies ist groß: Geliebt der Klischee-Italiener Ruben Bondi, der am Balkon seine Tomaten jongliert, die 90jährige Nonna Elda die den Pasta-Teig mit der Konzentration einer Sprengstoff-Entschärferin knetet, das voll öko-affine Gucci-Model Pierce Abernathy, das noch aus Brokkoli-Strünken eine kleine Extravaganza bastelt. Alternativ zum Chillen durch Kochen: Tierdokus. Die Beobachtung des Paarungsverhalten von brasilianischen Springmäusen in Slowmotion wirkt auch ziemlich entscheunigend. Ab und an braucht man einfach ein Nachrichten-Detox, denn, wie sagte eine Tante jüngst, nachdem sie seufzend die ZiB absolviert hatte: "Mein Wunsch informiert zu bleiben, steht im starken Widerspruch zu dem, nicht verrückt zu werden.”
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