Magischer Glanz in Großelternaugen
Warum es am Heiligen Abend ein großer Segen sein kann, über einen Hörapparat zu verfügen
Als Kind fantasierte ich im Advent stets, mein kleiner Bruder und ich könnten am Heiligen Abend unsere Großfamilie mit einem Konzert verzücken, so wie dereinst Wolferl und Nannerl Mozart. Ich spielte leidenschaftlich gern Klavier, doch mein Bruder und sein Cello hatten eine vertrackte Beziehung. Obwohl der spindeldürre Bub hinter dem bauchigen Instrument kaum auszumachen war, schienen seine Arme und Beine trotzdem zu lang, um es koordiniert zum Klingen zu bringen. Dass er, ein Zappelphilipp erster Güte, keine zehn Minuten still sitzen konnte, half der geschwisterlichen Konzertreife auch nicht sonderlich.
So integrierten wir also die Proben in die Vorführung und spielten am Heiligen Abend von den drei Weihnachtsstücken, die wir einigermaßen zusammenbrachten, jeweils fünfzehn bis zwanzig Strophen. Was uns an Vielfalt von Liedern fehlte, machten wir durch Vielfalt der Interpretation wett. Mit zehn weigerte sich mein Bruder, weiter Cello zu spielen, und so wurde das Instrument an die Musikschule zurückgegeben. Damals tat unsere Familie höflicherweise so, als würde sie dies bedauern.
Erst später gestanden unsere Großeltern, dass Weihnachten der einzige Tag im Jahr war, an dem sie für ihre Hörgeräte dankbar waren: weil man sie ausschalten konnte. „Jössas, und einen Hunger haben wir immer gehabt“, gestand mir meine Oma neulich, „in jeder Pause hab ich ’dacht, endlich krieg ma was zum Essen, aber dann spielen die noch eine Strophe. Und noch eine. Jössas, uns sind die Zähne lang worden.“
Der Glanz, den Kinder beim Anblick des Weihnachtsbaumes in den Augen haben, ist legendär. Doch Sie hätten den Glanz in den Augen unserer Großeltern sehen sollen, wenn sie nach dem Konzert, als dessen Zugabe wir das Konzert nochmals spielten, endlich zu Tisch durften.
So viel Freude und Glück bringt nur Weihnachten hervor.
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