La Dolce Vita Meteopatica
Warum ein süditalienischer Onkel im Bett überwintert und die Gleichberechtigung der Jahreszeiten Humbug ist
Mein Mann ist entweder zwei Männer oder ein Braunbär. Während der kalten Monate ist er leicht verstimmbar, antriebslos und braucht bis zu 16 Stunden Schlaf pro Tag. Wird es heiß, springt er nach fünf Stunden wie ein Gummiball aus dem Bett, mit so prächtiger Laune, dass ich ihn zuweilen erschlagen könnt’. Warum? Weil er es um sechs Uhr früh lustig findet, auf die alles entscheidende Frage, ob die Kaffeemaschine schon rennt, zu antworten: „Nein, die bleibt heute da.“ In Süditalien, wo der Großteil seiner Familie lebt, gibt es einen Begriff dafür: meteopatico. Die deutsche Übersetzung Wetterfühligkeit meint allerdings etwas anderes: Wenn man unter Wetterphänomenen leidet.
Das robuste österreichische Bergvolk hat dafür wenig Verständnis. Hierzulande gilt: Es gibt kein falsches Wetter, nur die falsche Kleidung. Ein Satz, den meine süditalienische Familie geistesgestört findet. Denn meteopathisch zu sein, ist für sie kein Wehwehchen, sondern natürlich. Scheint die Sonne, ist es freundlich und warm, muss man glücklich sein. Ist es kalt, gehört man ins Bett. Das gilt im Süden als gesund.
Als ich meines Mannes Zio Mario in einem nasskalten neapolitanischen Jänner kennenlernte, machte ich mir Sorgen, den uralt wirkenden, eingefallenen Onkel beim nächsten Besuch nicht wieder zu sehen. Ich lag falsch. Wir trafen ihn im August auf der Meerespromenade, braungebrannt, das silberglänzende Haar schick zurückgegelt, Hemd offen bis zum Bauchnabel, Sonnenbrille im Gesicht. Er sah aus wie ein Seniorenmodel für Dolce Vita. „So will ich auch altern“, meinte mein Mann dazu: Vor der Kälte verkriechen, um im Sommer voller Energie hinauszustürmen, die Arme auszubreiten und zu grinsen: Welt, hallo, hier bin ich wieder.
Vielleicht einigen wir uns auf einen Kompromiss: Es gibt kein falsches Wetter. Aber es gibt eine bessere Jahreszeit. Und die beginnt glücklicherweise jetzt.
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