Saubarteln am Tennisplatz
Warum es sich nicht lohnt, um jeden Preis die Form wahren zu wollen, und man lieber stöhnen sollte, als ins Gebüsch zu gehen
Meine Eltern sind Generation Tennis. Als sie jünger waren, verfolgten sie vor gigantischen Röhrenfernsehern, wie sich Boris Becker, Steffi Graf und Thomas Muster nicht nur auf Platz 1 der Weltrangliste spielten – sondern auch in die Herzen der Zuschauer.
Wir Kinder saßen daneben und versuchten, das Punktesystem zu verstehen. War meine Großmutter in der Nähe, mussten wir hinausgehen. „Die können doch net so stöhnen, wenn sie am Sonntag im Fernsehen sind“, sagte sie und fügte das einzige Schimpfwort hinzu, das ich sie je sagen hörte: „Solche Saubarteln, aber wirklich.“ Meine Eltern schauten nicht nur Tennis, sie spielten es auch, wie einst das gesamte Who’s Who unseres Dorfes. Überhaupt war die Tennisbegeisterung so groß, dass die Plätze verdoppelt werden mussten, und bei der jährlichen Vereinsmeisterschaft stand der Grillwagen vor der Tür, ein untrügliches Zeichen, dass etwas Wichtiges geschah. Während sich die Erwachsenen matchten, droschen wir Dorfkinder Bälle gegen eine Wand.
Eines Tages befand die Anführerin der Mädchen-Clique, dass wir dabei zu leise waren. „Die besten Tennisspieler sind die, die beim Draufhauen laut Uuuuuh und Aaaaah schreien“, erklärte sie. Ich entgegnete, dass sowas nur die Saubarteln machen. „Am lautesten Uuuuuh und Aaaaah macht die Pfarrsekretärin. Wenn die das darf, dürfen wir das auch“, sagte die Cliquen-Anführerin, woraufhin die anderen Kinder Uuuuuh und Aaaaah schreiend gegen die Wand ballerten, nur ich verließ das Gelände, um im Gebüsch verschossene Tennisbälle zu suchen.
Das Abschlussturnier der Kindertenniswoche beendete ich auf dem zweiten Platz. Ich ärgerte mich einen Sommer lang und war überzeugt: Hätte ich mehr Uuuuuhs und Aaaaahs von mir gegeben, hätte ich gewonnen. Damals lernte ich: Kein Saubartel sein wollen, ist ja schön und gut. Aber gewinnen ist besser.
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