Schritt für Schritt zur Myriade

Warum es manchmal die kleinen Erfolge sind, die am Ende des Tages große Freude bereiten.

Die Götter von ewiger Jugend, Fitness und Gesundheit scheinen mir relativ unentschlossen, welche Gebote die ihnen Huldigenden zu besseren Menschen machen. Als ich klein war, galt Dinner Cancelling als Weg zum Glück.
Gut erinnere ich mich an die gierigen Augen grantiger Erwachsener, die uns Kinder beim Abendessen anstarrten. In meiner Jugend waren gewisse Lebensmittel Quell allen Übels: erst Zucker, dann Laktose, dann Gluten. Während meines Studiums hieß es, bloß nicht zu dehydrieren, weswegen Hörsäle voller Studierender an ihren Flaschen nuckelten, als befände man sich in einer Kälberaufzuchtsanstalt.
 

Und seit fast alle ein Fitnessarmband, eine Apfeluhr oder sonstige Selbstüberwachungsgerätchen ihr Eigen nennen, gilt als oberstes Gebot, 10.000 Schritte pro Tag zu gehen.  Mir waren meine täglichen Tapser wurscht, bis ich entdeckte, dass mein Smartphone diese auch unaufgefordert zählt. Ich staunte: Pro Tag schaffte ich rund 8.000 bis 9.000 Schritte. Das passiert, wenn man einen zu Übergewicht neigenden Hund hat und ein Butzi, das die Welt entdecken will.
Ich redete mir ein, 8.000 bis 9.000 Schritte sind super. Dennoch wurden die Runden länger. Übergewicht schädigt Hundegelenke.  Auf dieser Welt gibt es viel zu entdecken. Als ich neulich mit dem Handy in der Hand und der Zahnbürste im Mund durchs Haus trabte, hatte das natürlich nichts damit zu tun, dass die Schritte-App erst 9.800 anzeigte. Meinem verwunderten Gatten erklärte ich, ich müsse mir die Beine vertreten. Mit sehr vertretenen Beinen im Bett liegend, schaute ich nach. 10.000 Schritte  – eine Myriade. Die App jagte einen lustigen Konfetti-Regen über den Bildschirm: Die Bestätigung, wenigstens das geschafft zu haben.
Ja, natürlich ist es albern, sich darüber zu freuen. Aber an manchen Tagen sind es die kleinen Freuden, die große Freude machen. Schritt für Schritt.

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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